Der Tag von – nennen wir ihn – Ulrich beginnt an einem strahlend sonnigen Montagmorgen. Das Wochenende hat er damit verbracht, sich auf die heute bevorstehende Präsentation im Büro vorzubereiten – schließlich hängt viel davon ab, ob er einen weiteren Großkunden einmal mehr davon überzeugen kann, eines seiner Projekte zu finanzieren. Doch soweit soll es nicht kommen – Ulrich bricht während des Vortrags nach wenigen Minuten im Besprechungsraum zusammen. Was Ulrich nicht weiß, ist, dass sich in der Zwischenzeit in seinem Körper Metastasen gebildet haben und er in den kommenden Wochen – oder gar nur wenigen Tagen – mit einer noch viel größeren Herausforderung zu kämpfen haben wird: Dem Krebs.
Dem 17-jährigen Jonas Bodingbauer ist es mit seinem Computerspiel „Die Entscheidung“ gelungen, sich einfühlsam dem Leben eines an Krebs erkrankten Menschen zu widmen und gleichzeitig – inspiriert vom berühmten Milgram-Experiment – Kritik an denjenigen Computerspielen zu äußern, deren primäres Ziel es ist, virtuell Menschen zu töten oder ganze Staaten zu vernichten. „Zurzeit widme ich mich der Spieleprogrammierung, vielleicht entwickle ich ja als nächstes ein – kleines – Spiel“, hatte Jonas Bodingbauer schon vor zwei Jahren in einem unserer Interviews angekündigt, als er eine Auszeichnung für seine „Smart Watch“ bekomme hatte. Mit seinem Computerspiel „Die Entscheidung“ hat er es nun bis zur Goldenen Nica geschafft, die ihm nun in der Kategorie „u19 – CREATE YOUR WORLD“ des Prix Ars Electronica 2016 verliehen wird. Wer mit ihm und den anderen PreisträgerInnen dieses Kinder- und Jugendwettbewerbs mitfeiern will, hat beim Ars Electronica Festival 2016 im Rahmen der „u19 Ceremony“ die Gelegenheit dazu. Zeit und Ort: FR 9.9.2016, 11:00, POSTCITY.
Jonas, wie läuft dein Computerspiel „Die Entscheidung“ eigentlich ab?
Jonas Bodingbauer: Also gespielt wird mein Spiel von zwei Personen, deren Computer über ein Netzwerk miteinander verbunden sind. Jeder von ihnen sieht das Spiel nur aus ihrer oder seiner Sicht und übernimmt eine der beiden Rollen. „Spieler 1“ hat Krebs und versucht, das Beste aus der Lebenszeit herauszuholen, die ihm noch verbleibt. Der zweite Spieler handelt als Tumor und unternimmt alles, um dessen Wachstum zu fördern. Erst im Verlauf des Spiels erfährt der Tumor-Spieler, dass der erkrankte Patient gute Heilungschancen hätte, wenn sich die Krankheit nicht weiterentwickeln würde. Jeder Spieler muss also die nächsten Schritte für sich entscheiden – und somit auch für den anderen.
Credit: Jonas Bodingbauer
Was hat dich dazu bewogen, dieses Computerspiel zu entwickeln?
Jonas Bodingbauer: Mit meinem Spiel möchte ich die Notwendigkeit zeigen, dass man eigentlich jeden einzelnen Auftrag, den man erhält, hinterfragen soll. Und das betrifft nicht nur manch eigenartige Ziele und grausame Dinge, die in einigen Games enthalten sind. Man soll sich generell auch über sehr kleine Entscheidungen Gedanken machen, sowohl im echten Leben als auch in der Spielwelt. Es ist wichtig, über etwas intensiv nachzudenken und über etwas zu reflektieren, bevor man eine Entscheidung trifft. Darauf soll mein Spiel aufmerksam machen.
Conny Lee und Karl Markovics waren zwei der JurorInnen der Kategorie „u19 – CREATE YOUR WORLD“. Im Video sprechen Sie über die Besonderheiten des Computerspiels von Jonas Bodingbauer.
Womit hast du das Spiel programmiert?
Jonas Bodingbauer: Programmiert habe ich es mit Java, die Game Engine dazu nennt sich libGDX, die Network Engine ist KryoNet. Alle Pixelgrafiken, die im Spiel vorkommen, habe ich selbst gestaltet – hier haben mir vor allem die Programme PyxelEdit und Paint.NET geholfen.
Haben deine Eltern das Spiel auch getestet? Und für welchen Ausgang haben sie sich entschieden?
Jonas Bodingbauer: Ja, sie haben mir beim Testen geholfen. Ich habe ihnen dabei aber vorgegeben, wie sie spielen sollen – schließlich muss ich beim Testen ja auch wissen, welche Wege funktionieren und welche nicht. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie das Spiel ausgegangen wäre, wenn ich es ihnen nicht gesagt hätte. Aber das wäre interessant zu wissen.
Credit: Martin Hieslmair
Wie ist eigentlich dein allgemeiner Zugang zu Computerspielen? Glaubst du, können manche davon eine Gefahr sein?
Jonas Bodingbauer: Ich glaube, die meisten Menschen, die Computerspiele spielen, denken zumindest ein bisschen darüber nach, was sie tun. Ich spiele selbst sehr wenig Shooter-Games, und wenn, dann nur gemeinsam mit Freunden. Wenn ich aber allein spiele, dann sind das Point-and-Click-Adventures, Games mit einer dahinterliegenden Geschichte, nicht ganz konventionelle Spiele. Es gibt so viele coole und wunderschöne Indie-Games, die einfach viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Viele davon kommen in einer sehr schönen Pixelgrafik daher. Das hat mich bei der Entwicklung meines Spiels sehr stark motiviert.
Kannst du dich noch daran erinnern, was dein erstes Computerspiel war?
Jonas Bodingbauer: Damals habe ich immer meine Schwester gedrängt, dass sie mir ihren Gameboy gibt. Mit fünf oder sechs Jahren habe ich mein erstes Computerspiel gespielt – und das war Pokémon, definitiv. Die goldene Edition. Bei Hard Gold habe ich aber dann wieder aufgehört. Das war schon cool.
Jonas Bodingbauer, geb. 1998, besucht seit 2012 die HTL Leonding im Zweig Elektronik und Technische Informatik. Er beschäftigt sich in seiner Freizeit mit Elektronik und Programmieren und setzt mit diesen Fähigkeiten selbst erdachte Projekte um. Nebenher musiziert er gerne und engagiert sich sozial. Bereits 2014 erhielt er in der Kategorie u19 – CREATE YOUR WORLD eine Auszeichnung für seine Smart Clock. Außerdem nimmt er an der jährlich stattfindenden Physikolympiade teil und qualifizierte sich bereits zum zweiten Mal für den Bundeswettbewerb.
Hinweis: Zeitgleich zum „großen“ Ars Electronica Festival findet das Zukunftsfestival der nächsten Generation, das u19 – CREATE YOUR WORLD Festival, in der POSTCITY in Linz statt – von 8. bis 12. September 2016. Infos zum Programm des u19-Festivals gibt es auf ars.electronica.art/u19/festival!