Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise, Klimakrise. Ohne hier in Alarmismus zu verfallen – die Chronik des noch jungen 21. Jahrhundert ist ein Weckruf. Immer deutlicher treten die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verwerfungen zu Tage, die von den nahenden „Grenzen des Wachstums“ künden. Es ist ziemlich klar, wie unsere Zukunft aussehen wird, wenn wir weitermachen wie bisher. Verlockend scheint das freilich nicht.
2021 fordert die Ars Electronica daher einen „New Digital Deal“. Kein 1.000-seitiges Abkommen, das von „Expert*innen“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausverhandelt wird. Nein. Gemeint ist ein gänzlich neuer Umgang mit unseren Problemen, der zweierlei voraussetzt: Handlungsspielräume, die wir dringend einfordern und Handlungsfähigkeiten, die wir uns ebenso dringend aneignen müssen. Die Zeit des Herumlavierens ist ein für alle Mal vorbei. Es ist Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen; es ist Zeit für den „New Digital Deal“…
Montag, 30. August – A New Digital Deal oder worauf noch warten?
Sie sind alle zwischen 16 und 24 Jahre alt und leben in mehr als 50 verschiedenen Ländern. Sie brennen für Veränderung und wollen dazu beitragen, dass unsere Zukunft besser als die Gegenwart wird. Ohne zu zögern haben sie sich deshalb für die erste „Festival University“ von Ars Electronica und Johannes Kepler Universität (JKU) beworben, die dank der Unterstützung des Österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und dem Land Oberösterreich heuer angeboten wird. 100 Bewerber*innen wurden angenommen und werden von 30. August bis 19. September an einem Experiment teilnehmen, das das Zusammenspiel von Kunst, Technologie, Wissenschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert probt. Zum einen wird es dabei darum gehen, was es braucht, um in Sachen Zukunft hier und heute in die Gänge zu kommen, zum anderen, wie Lernen im 21. Jahrhundert aussehen sollte. Begleitet werden die Studierenden von namhaften Mentor*innen aus dem internationalen Netzwerk von Ars Electronica und JKU, tatkräftig unterstützt von Künstler*innen und Aktivist*innen aus Linz und Oberösterreich. Der Outcome dieser „Festival-University“ wird dann dort präsentiert, wo die Transformation unserer Welt ihren Anfang nehmen und Wirklichkeit werden muss – inmitten und gemeinsam mit einer möglichst breiten Öffentlichkeit.
Dienstag, 7.9.2021 – Straight to the point auch beim Pre-Opening
Am Vorabend des offiziellen Festivalauftakts geht die diesjährige Ars Electronica in medias res. Am Programm steht ein Pre-Opening-Walk, der im OK im OÖ Kulturquartier – ein Standort der OÖ Landes-Kultur GmbH und am Beispiel preisgekrönter Kunstwerke zeigt, wie etwa die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts neue Technologien nutzt, um ebenso subtile wie tödliche Formen von Gewalt zu dokumentieren und ihre Urheber*innen zur Verantwortung zu ziehen (Cloud Studies / Forensic Architecture). Oder wie eine einmalige Sammlung von essbaren Erdproben, zum Ausgangspunkt der Reflexion unserer vielschichtigen und teils verloren gegangenen Beziehung zur Natur werden kann (The Museum of Edible Earth / masharu).
Weiter geht’s in der Linzer Kunstuniversität am Hauptplatz, wo die Ausstellung „Loops of Wisdom“ der Frage nachgeht, wie wir unser Wissen über die Welt generieren und warum wir – angesichts des Zustands dieser Welt – trotz all dieses Wissens recht wenig Weisheit entwickeln. Vorgeschlagen wird ein Handlungsleitfaden, der uns helfen soll, endlich mehr aus unserem Wissen zu machen und ins Tun zu kommen.
Letzte Station des Abends ist das Ars Electronica Center, das mit der Schau „There is no Planet B“ klarstellt, dass sich die Spezies Homo Sapiens nicht durchschummeln wird können. Künstlerische Projekte machen bewusst, dass es uns nicht an Lösungen mangelt, sondern am Willen und der Konsequenz, diese einzusetzen und uns als Einzelne wie als Gesellschaft so weiterzuentwickeln, dass auch die Generationen nach uns noch eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten vorfinden. Frei nach Carl Sagan: „There is nowhere else, at least in the near future, to which our species could migrate. Visit, yes. Settle, not yet. Like it or not, for the moment the Earth is where we make our stand.“
Mittwoch, 8.9.2021 – das Festival startet mit einem Education Day
Endlich Mittwoch! Die Ars Electronica 2021 beginnt heute offiziell und sie startet mit einem „Education Day“. Aus gutem Grund: Etwas verändern zu wollen (oder in unserem Fall zu müssen) ist das Eine, es zu können, etwas ganz Anderes. Es geht um die Frage, wie wir uns jene Handlungsfähigkeiten aneignen können, die wir brauchen, um den Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich begegnen zu können. Das Gebot der Stunde kann dabei nur lauten: Wir brauchen eine (außer-)schulische Bildung, deren Strukturen, Inhalte und Didaktik zeitgemäßes Lernen möglich macht und junge Menschen bestmöglich auf ein (Arbeits-)Leben im 21. Jahrhundert vorbereitet.
Genau diese Frage ist gedanklicher Ausgangspunkt des zweitägigen „Symposium Universitas“, mit dem die Johannes Kepler Universität, die Universität für angewandte Kunst Wien und die Donauuniversität Krems ins diesjährige Festival starten. Es geht darum wie digitale Technologien die universitäre Lehre verändern, welche neuen Skills vermittelt und welche neuen Methoden implementiert werden müssen, wie man Leistung und wissenschaftlichen Output sinnvoll(er) „messen“ kann und wie Transdisziplinarität nicht nur bemüht, sondern gelebt werden soll.
Stichwort Zusammenarbeit; auch bei den hybriden Talks und Workshops von STEAM Inc geht es darum, die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit – nicht nur, aber vor allem auch an Universitäten – zu fördern. Science, Technology, Engineering, Artistic Innovation und Mathematics bilden dabei eine Art Toolset für Problemlösungen, die stets mit den gleichen zwei Fragen beginnen: „What problem am I trying to solve?“ und „Who should I collaborate with to find an answer?“. Die Initiative STEAM Inc will diesen disziplinenübergreifenden Ansatz an europäischen Hochschulen etablieren und in Forschung wie Lehre implementieren. Darüber hinaus geht es darum, die Wirkung von STEAM zu evaluieren.
Dass digitale Gadgets, Algorithmen und das Internet unser Leben immer stärker prägen, steht genauso außer Zweifel, wie die leidige Tatsache, dass Frauen in der Entwicklung all dieser Technologien immer noch stark unterrepräsentiert sind. Im Rahmen der von ihr initiierten Initiative „Initiative Digitalisierung Chancengerecht“ (IDC) lädt Doris Schmidauer Expert*innen aus Bildung, Technologie, Wirtschaft, Kultur und Medien zur Podiumsdiskussion und will wissen, was sind die Ursachen für die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern sind und mit welchen konkreten Maßnahmen wir diese Kluft ein für alle Mal überwinden können?
Dass Erkenntnisse und Empfehlungen der Wissenschaft durch die Pandemie einerseits noch nie dagewesene Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfuhren, andererseits aber auch Verschwörungstheorien und Esoterik eine Hochkonjunktur verzeichnen, hat die Pädagogische Hochschule Oberösterreich und die Arbeiterkammer Oberösterreich veranlasst im Rahmen ihres Symposiums „Perspektiven Politischer Bildung“ darüber nachzudenken, wie unser Bildungssystem aktiv helfen kann, soziales Denken und Handeln zu befördern und eine humanitäre Grundhaltung zu stärken.
Abschluss dieses „Education-Days“ und zugleich das offizielle Opening der Ars Electronica 2021 bildet die Eröffnung des neuen „Zirkus des Wissens“ mit dem die JKU ab sofort dazu beitragen will, dass der Zauber des Wissens und die Magie der Erkenntnis hier in Linz möglichst früh verfangen und junge Menschen darin bestärkt werden, ihre eigenen Zukunftsideen zu entwickeln und zu verfolgen … Künstlerisches Highlight dieser abendlichen Feier an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft ist die Neu-Interpretation von Schuberts „Winterreise“ von Naked-Luch Frontman Oliver Welter und Ausnahmepianistin Clara Frühstück, die von digitalen Visualisierungen von Cori O’Lan eindrucksvoll begleitet wird…
Donnerstag, 9.9.2021 – Tag 2 des Festivals ist Innovation Day
Innovation ist ein Schlagwort unserer Zeit geworden. Sie ist allerorts und allerseits gefragt, wird gern gefördert und noch lieber verkündet. Doch längst nicht alles, auf das „Innovation“ heute draufgepickt wird, hat dieses Etikett (noch) verdient. Gerade deswegen erklärt Ars Electronica Tag 2 des Festivals zum „Innovation Day“ und plädiert für ein zeitgemäßes Verständnis von Innovation. Präsentiert und diskutiert werden Projekte und Initiativen, die nicht mehr nur ökonomische Wertschöpfung, sondern vor allem gesellschaftlichen Mehrwert versprechen.
Perfekte Beispiele dafür, was Innovation im 21. Jahrhunderts bedeutet, holt der STARTS Prize1 der Europäischen Kommission vor den Vorhang. Im Rahmen einer großangelegten Ausstellung, eines ganztägigen Konferenz- und üppigen Workshop-Programms wird etwa gezeigt, auf welche bahnbrechende Weise die Kunst hilft, wissenschaftliche Daten (be-)greifbar zu machen (Oceans in Transformation / Territorial Agency – John Palmesino und Ann-Sofi Rönnskog), wie einfach und genial Kreislaufwirtschaft in eigenen Stadtteil funktionieren kann (Remix el Barrio, Food Waste Biomaterial Makers / Anastasia Pistofidou, Marion Real and The Remixers at Fab Lab Barcelona, IaaC), wie Daten in die DNA von Pflanzen gespeichert und so eine funktionale und CO2-negative IT-Infrastruktur geschaffen werden kann (Data Garden / Grow Your Own Cloud) und dass organische Abfälle generell über revolutionäres Potenzial als nachhaltige Energiequellen verfügen (The Living Light / Nova Innova).
Dass man Probleme nicht mit derselben Denkweise zu lösen vermag, durch die sie entstanden sind, hat Albert Einstein nicht nur einfach nur in den Raum, sondern eindrucksvoll unter Beweis gestellt. In anderen Worten; gewohnte Trampelpfade immer nur ein wenig schneller und eleganter entlangzulaufen, führt letztendlich nicht ans Ziel. Was es braucht, sind Abstecher ins steinige, unwegsame Gelände, die unerwartete Aus- und damit Einblicke eröffnen. Genau solche suchen die Johannes Kepler Universität und die Universität für angewandte Kunst Wien im Rahmen ihrer Allianz „Innovation durch Universitas“ seit 2019. Technologische und wissenschaftliche Errungenschaften werden dabei von der Kunst quasi absorbiert und zum Ausgangsmaterial deren ästhetischen Ausdrucks. Indem sie ungewöhnliche Perspektiven, neue Erkenntnisse und Anstöße für unerwartete Entdeckungen liefert, wird die Konvergenz zwischen Kunst und Wissenschaft also zur Quelle für Kreativität und Innovation. Wie man sich dies vorzustellen hat zeigt das Linz Institute of Technology In Kepler’s Gardens am Campus der JKU mit sieben interaktiven und/oder immersiven Installationen, die sich der Bedeutung der Mehrphasenströmungen für Wasseraufbereitung, Abgasreinigung oder Impfstoffproduktion („Do You Feel Stressed“) oder den verfassungsrechtlichen Implikationen der Virtualisierung von Gerichtsverfahren widmen („The Virtual Court. Reality.“), lebendige chromogene Bakterienkulturen und ihr Potential für umweltschonende Methoden der Färbung von Textilien („Growing colors: Patterning with living pigments”) oder abseits des Hypes rund um KI die Möglichkeiten und Grenzen des maschinellen Lernens („AI Forest“, „Serum 13 – A VR Trust Game“, „Faces of AI“) unter die Lupe nehmen.
Beachtliche 25 Jahre nach seiner Gründung klarerweise auch das Ars Electronica Futurelab ein visionäres Wörtchen in puncto Innovation mitzureden. Das bereits seit 1996 Disziplinen übergreifend arbeitende Team aus Künstler*innen, Entwickler*innen, Designer*innen und Wissenschaftler*innen gibt Einblick in seine prototypische Erforschung der Zukunft. Einen ganzen „Futurelab-Day“ lang stehen Lectures, Workshops, Demos, Inspirational Tours und Performances auf dem Programm, die vor allem eines deutlich machen: die maßgebliche Rolle, die Künstler*innen für eine Innovationsdynamik spielen, die nicht auf die nächste Quartalsbilanz schielt, sondern gesellschaftliche Nachhaltigkeit im Blick hat.
Ebenfalls Teil des Futurelab Day ist „Pianographique“. Der Name ist Programm – und dieses wiederum ohne Zweifel vom Allerfeinsten. Spitzenpianistin Maki Namekawa zeichnet für die Musik, Cori O’Lan für die immersiven Echtzeitvisualisierungen verantwortlich, ihre Bühne ist der Deep Space 8K. Auf dem Programm stehen Stücke von György Ligeti, Chick Corea und zum ersten Mal auch von der polnischen Komponistin Hania Rani. Wir wünschen … nein, wir garantieren einen Abend, der in Erinnerung bleibt!
Dieses war der erste Streich und der zweite… Teil der Festival-Highlights folgt in Kürze! Bleibt dran!
1 The STARTS Prize has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 956603.