Cutting Edge: Drohnenkunst zum Anfassen

Ars Electronica Spaxels over Linz, developed by the Ars Electronica Futurelab, Photo: Gregor Hartl Photography

Seit 1979 leistet Ars Electronica Pionierarbeit – sie baut Brücken zwischen Disziplinen, dient als Plattform für neue Allianzen und setzt Impulse für einen offenen, inklusiven Dialog über unsere Zukunft. In Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus aller Welt realisieren und präsentieren wir Projekte, die Konventionen infrage stellen und Entwicklungen vorwegnehmen.

Für diese Serie bitten wir Mitglieder des Ars Electronica Teams, in unser Archiv – das weltgrößte seiner Art – einzutauchen und ein Projekt auszuwählen, das sie persönlich berührt, inspiriert oder zum Nachdenken angeregt hat und uns zu erzählen, warum dieses Projekt heute relevant ist. Gemeinsam begeben wir uns auf eine Reise zu Meilensteinen der sogenannten digitalen Revolution. Meilensteine, die „Cutting Edge“ waren. 

In dieser Ausgabe gibt uns Horst Hörtner, Senior Director und CTO der Ars Electronica, Einblick in ein Projekt, das mit leuchtenden Drohnenschwärmen und partizipativer Lichtkunst 85.000 Menschen begeisterte und den weltweiten Markt für Drohnenshows begründete.

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Welches Projekt hast du ausgesucht?

Als erstes muss ich gestehen: Ich habe tagelang immer wieder darüber nachgegrübelt, wie ich aus dem weltgrößten Archiv für Medienkunst ein einziges Projekt auswählen soll. Am Ende fiel meine Wahl auf ein Projekt, das nicht nur mir, sondern auch vielen Linzer*innen wahrscheinlich noch lebhaft in Erinnerung ist: die Klangwolke 2012.

Erzähl uns, worum es in diesem Projekt geht.

Die Klangwolke selbst muss man Österreicher*innen nicht erklären – allen anderen sei kurz gesagt: Es handelt sich um eines der größten Outdoor-Events Europas, das seit 1979 (mit wenigen Ausnahmen) jährlich stattfindet und längst Kultstatus genießt. Dabei wird die an dieser Stelle 250 Meter breite Donau – samt der dahinterliegenden Stadtfassade – zur Bühne einer künstlerischen Inszenierung, während sich zehntausende Menschen am südlichen Ufer, im Donaupark, versammeln.

2012 wurde Ars Electronica eingeladen, dieses Event zu gestalten. Als Thema wählten wir die Geschichte der Kommunikation – und der Technologien, die sie ermöglicht haben. Und weil wir eben ticken, wie wir ticken, reichte es uns nicht, „nur“ Schiffe mit Tänzer*innen aufzubieten, schwimmende Industrieroboter einzusetzen, die mit Feuerwehrschläuchen Wasser zu Projektionsflächen zerstäuben, Hubschrauber des österreichischen Bundesheeres über die Donau fliegen zu lassen – und sogar die ISS in die Inszenierung einzubinden.

Nein, wir wollten noch einen Schritt weiter gehen und Bilder aus Licht in den Linzer Nachthimmel zeichnen. Also entwickelten wir LED-bestückte Drohnen, die als autonomer Schwarm über die Donau flogen und riesige, leuchtende Skulpturen formten. Wir tauften sie „Spaxels“ – kurz für Space Pixels.

Foto: Gregor Hartl

Aber auch die Spaxels waren uns nicht genug. Ihr Flug war zwar spektakulär und eine Weltpremiere – wir wollten aber auch die Menschen im Publikum aktiv einbinden. So entstand die Idee zum Klangwolken-ABC: ein Mitmachprojekt, das rund sechs Monate vor dem eigentlichen Event starten und Linzer*innen die Möglichkeit bieten sollte, ganz besondere „Leuchtbuchstaben“ zu basteln und zur Klangwolke mitzubringen.

Das Papplab entwickelte dazu vorgefertigte, dreidimensionale Kartonbuchstaben, die mit LED-Streifen und Batterien bestückt und individuell dekoriert werden konnten. Jeder Buchstabe wurde außerdem mit einer Empfangseinheit ausgestattet – der sogenannten „Linzerschnitte“, die wir im Futurelab entwickelt hatten.

Während der Klangwolke konnten diese Buchstaben dann große Scheinwerferbatterien ansteuern. Sogar die Beleuchtung der Pöstlingbergkirche – eines der Linzer Wahrzeichen – wurde auf diese Weise in die Lichtregie eingebunden.

Foto: Reinhard Winkl

Warum war dieses Projekt aus deiner Sicht herausragend?

Es kommt selten vor, dass die gesamte Ars Electronica an einem einzigen Projekt arbeitet. Die Klangwolke 2012 war eine solche Ausnahme: Mitarbeiter*innen aus allen Unternehmensbereichen bildeten ein großes Kreativ- und Projektteam, das über Monate hinweg gemeinsam arbeitete:

Da waren die Workshops im Ars Electronica Center, die laufende Berichterstattung durch die Videoteams unserer Kommunikationsabteilung, die Entwicklung der „Spaxels“ und „Linzerschnitten“ im Futurelab, die Gestaltung von Videos und Animationen durch das Team von

Ars Electronica Solutions – und natürlich die Planung und Umsetzung des Events durch das Festivalteam.

Hinzu kam noch die Unterstützung zahlreicher Partner*innen: die Feuerwehr, der Motorbootclub, die Musikschule, die voestalpine Werkskapelle, OTELO – und viele andere mehr.

Aus all dem wuchs ein buntes, leidenschaftliches Team, das ein gemeinsames Ziel einte: mehr als 85.000 Menschen im Donaupark einen unvergesslichen Abend zu bereiten.

Credit: Ars Electronica Archiv

Warum ist dieses Projekt heute relevant?

Aus mehreren Gründen.

Zum einen haben wir mit den Spaxels mehr erreicht als ein Projekt umzusetzen, ein Produkt zu entwickeln oder ein Unternehmen zu gründen. Wir haben einen völlig neuen Markt geschaffen: Weltweit gibt es heute mehr als 150 Anbieter für Drohnenshows, die Inszenierungen für Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Amtseinführungen von US-Präsidenten realisieren. All das nahm seinen Anfang 2012 – in Linz.

Zum anderen haben auch die in den Buchstaben verbauten „Linzerschnitten“ Karriere gemacht: Als Open-Hardware-Projekt kostenlos von uns zur Verfügung gestellt, finden sie seither Anwendung in internationalen Kunst- und Robotikprojekten, in der Architektur und sogar im Hochschulunterricht.

Und noch aus einem anderen Grund ist die Klangwolke 2012 heute relevanter denn je: Durch das „Klangwolken-ABC“ wurde sie zu einem groß angelegten Partizipationsprojekt – und zu einer demokratischen Verhandlung. Dass es im Deutschen kein sinnvolles Wort mit nur einem Buchstaben gibt, macht das Prinzip deutlich: Wer sich ausdrücken will, muss sich mit anderen zusammentun, sich verständigen, gemeinsam etwas erschaffen.

Foto: rubra

5000 Menschen bastelten damals ihren eigenen Buchstaben und kamen damit zur Klangwolke. Sie mischten sich unters Publikum und formten spontan Worte, Sätze und Gedichte – live, vor Ort, gemeinsam.

Dass dabei niemand anonym blieb, sondern jede*r mit seinem Buchstaben sichtbar wurde, führte dazu, dass es keine anstößigen Parolen oder missbräuchlichen Botschaften gab. Wir hatten an diesem Abend keinerlei Kontrolle darüber, welche Worte sich auf der Wiese formten. War das ein Risiko? Vielleicht. Für uns war es vor allem eines: eine echte Begegnung auf Augenhöhe. Nicht nur zwischen uns und dem Publikum – sondern auch unter den Menschen selbst.

Die Klangwolke 2012 war weit mehr als ein spektakuläres Event. Sie war ein soziales Experiment, das zeigte: Nur durch Austausch, Aushandlung und Zusammenarbeit lassen sich Ideen – ob individuell oder gemeinsam – erfolgreich umsetzen. Diese Form der demokratischen Kollaboration ist heute aktueller denn je.

Horst Hörtner – vielen Dank! 

Entdecke noch mehr Projekte aus über 40 Jahren Ars Electronica in unserem Archiv.

Horst Hörtner

Horst Hörtner ist Medienkünstler und Forscher mit Fokus auf Mensch-Maschine-Interaktion. Er hält mehrere Patente, insbesondere für Technologien zu Drohnenschwarmflügen („Spaxels“), die sein Labor 2012 als Weltpremiere präsentierte. Seit den 1980er Jahren in der Medienkunst aktiv, war er 1990 Mitbegründer der Gruppe x-space, die beim Prix Ars Electronica ausgezeichnet wurde. 1995 trat Hörtner als Technischer Direktor bei Ars Electronica ein und gründete mit Gerfried Stocker das Ars Electronica Futurelab, das er bis 2024 leitete. Seither ist er Senior Director und seit 2020 auch CTO der Ars Electronica. Hörtners Arbeit verbindet Kunst, Technologie und Gesellschaft. Er ist international als Vortragender, Künstler und Autor tätig.

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