Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften: Ein faszinierender Cocktail für eine Residency

Mariano Sardón, Credit: vog.photo

Gemeinsam mit zwölf angesehenen Kunst- und Kultureinrichtungen hat Ars Electronica erst kürzlich das European ARTifical Intelligence Lab initiiert. Die europaweite, für drei Jahre anberaumte Initiative wird vom Creative-Europe-Programm der Europäischen Union ko-finanziert und eröffnet KünstlerInnen die Chance auf Residencies bei wissenschaftlichen Institutionen: Darunter das Muntref Centro de Arte y Ciencia, das Laboratorio de Neurociencia de la Universidad Torquato Ditella in Buenos Aires oder die University of Edinburgh. Noch bis zum 25. Februar 2019 können sich interessierte KünstlerInnen bei dieser ersten Residency bewerben, die an der Schnittstelle von Neurowissenschaften und Künstlicher Intelligenz neue künstlerische Ansätze entwickeln möchten. Die Ergebnisse der Residency werden dann beim Ars Electronica Festival in Linz sowie europaweit bei zwölf Netzwerkpartnern präsentiert.

Hinter dem Begriff der künstlichen Intelligenz stecken Systeme wie selbstlernende neuronale Netzwerke, autonome mobile Roboter und intelligente digitale Assistenten. Was fasziniert Sie an diesem Thema?

Mariano Sardón: Bei einem Gespräch mit Gerfried Stocker, dem künstlerischen Leiter der Ars Electronica, während einer seiner Besuche in Buenos Aires vor einigen Jahren waren wir beide der Meinung, dass einige Bereiche der Wissenschaft wie die Neurowissenschaften und die Künstliche Intelligenz viele spannende Ergebnisse und Prozesse hervorbringen, die sich unweigerlich auf unsere Gesellschaft auswirken würden. Ein solcher Einfluss auf uns benötigt natürlich Raum für Reflexion und Platz für die Entwicklung einer breiten Perspektive, in die sich auch KünstlerInnen zu diesem Thema einbringen sollen. Eine Art Rahmen für die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen dieser Forschungen auf unsere Vorstellungen als Menschen.

„Künstliche Intelligenz und Neurowissenschaften umfassen eine Vielzahl von Disziplinen, angewandte Technologien, theoretische Modelle und schließt mehrere Gruppen von ExpertInnen mit ein. Sie sind interdisziplinär, per Definition multidimensional und umfassen verschiedene Epistemologien, die neue komplexe Darstellungswerkzeuge schaffen.“

Als Beispiele für Künstliche Intelligenz haben Sie selbstlernende neuronale Netze, autonome mobile Roboter und intelligente digitale Assistenten und andere Techniken genannt. Auf der anderen Seite sind es die Neurowissenschaften, die sich mit dem menschlichen Gehirn aus sehr unterschiedlichen Gründen befassen. Fügen wir noch die Kunst und ihr enormes Potenzial hinzu, um Strukturen zu verändern und neue Visionen zu finden, dann trinken wir einen faszinierenden Cocktail in dieser Begegnungszone. Ein faszinierendes Gebiet, um zu erforschen und es zu überschreiten, neue Ontologien und Beziehungen zu entdecken. Man könnte damit nicht nur spezifische Forschungsthemen betrachten, sondern auch neue Wege finden und Gruppen von Menschen bilden, die zusammenarbeiten und technische Ressourcen in einem alternativen Ökosystem für Kreativität schaffen.

Credits: Rocio Pilar Lara

Das European ARTificial Intelligence Lab beschäftigt sich mit Visionen und Ängsten, die wir mit einer allumfassenden künstlichen Intelligenz verbinden – worauf hoffen Sie, was fürchten Sie?

Mariano Sardón: Hier stimme ich zu, dass eine allumfassende künstliche Intelligenz mehrere Reaktionen hervorruft. Die künstliche Intelligenz und all ihre Entwicklungen stellen uns eindeutig vor unvorstellbare Herausforderungen. Wie in anderen Bereichen der Techno-Wissenschaften sind es aber wir, die modellieren und Technologien entwickeln, die unsere Fähigkeiten als Menschen herausfordern, und gleichzeitig behaupten uns diese Produktionen auf unterschiedliche und radikale Weise als Spezies.

Diese Situation hat unvermeidlich ambivalente Gefühle und Positionen hervorgerufen, sowohl für die Erwartungen, die die Künstliche Intelligenz betreffen, als auch für die Ängste, sich dem zu stellen, dass wir nicht wissen, wozu wir damit fähig sind. Auf Basis dieser Vorurteile werden wir die KünstlerInnen ermutigen, über den Tellerrand hinauszudenken und ihnen eine wichtige Rolle in der Residency geben. Wir werden sie ermutigen, epistemologische Rahmenbedingungen der Neurowissenschaften und KI-Technologien zu erforschen, um eine Umgebung für Projekte zu schaffen, die es uns ermöglicht, über Ängste und Hoffnungen in diesen Bereichen nachzudenken.

Was Hoffnungen und Ängste betrifft, denke ich auch selbst in doppelter Hinsicht darüber nach: Hoffnungen und Ängste sind ein Teil der künstlerischen und wissenschaftlichen Erkundungsprozesse. Ich glaube, dass alle eine Spannung zwischen Hoffnung und Angst gemeinsam haben. Die Prozesse der Erfindung oder Schöpfung implizieren Hoffnung meiner Meinung nach. Und ich denke, wir erschaffen, weil wir hoffen. Gleichzeitig führt uns das, was wir erzeugen, manchmal zum Unbekannten und hier schwingt immer ein Stück Angst auf unterschiedliche Weise mit. Es ist wichtig, bei der Residency diese Ängste und Hoffnungen in den Neurowissenschaften und der KI zu berücksichtigen; das wäre etwas, das man definitiv erkunden sollte.

Es geht bei dieser Residency vor allem um die Verbindung von Kunst und Wissenschaft – zwei Felder, denen sich auch das Muntref Centro de Arte y Ciencia verschrieben hat. Können Sie uns das Muntref etwas näher vorstellen?

Mariano Sardón: Das Muntref Art and Science Center ist ein Ort für interdisziplinäre Forschungen. Es ist eine Art Meta-Labor, das die Artikulation zwischen den für die Projekte notwendigen Kontexten fördert, die Wissenschaft, Kunst, Industrie und andere Gebiete durchqueren.

„Die Verbindung zwischen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen findet sich hier sehr oft, aber es ist nicht immer leicht, diese konkret umzusetzen. Manchmal sind die Fachbereiche Naturwissenschaften und Kunst an den Universitäten nur wenige Meter entfernt, aber wenn es um die gegenseitige Kenntnis ihrer Themen geht, sind es Lichtjahre. Wir bemühen uns, diese Strecke bei Muntref so weit wie möglich zu verkürzen.“

Wir arbeiten mit Projekten, die sowohl für KünstlerInnen als auch für WissenschaftlerInnen interessant sein können. Das Projekt ist der grundlegende Ausgangspunkt des Prozesses bei Muntref Arte y Ciencia. Wir arbeiten daran, Beziehungen mit anderen ForscherInnen aufzubauen, die daran interessiert sind, auf unterschiedliche Weise an dieser Entwicklung teilzunehmen. Wir konzentrieren uns auf die Schaffung dessen, was Martin Honzik, Leiter des Ars Electronica Festivals, als „Empathieverbindungen“ zwischen Menschen verschiedener Disziplinen bezeichnet hat. Wir nehmen uns Zeit, um ein solches Einfühlungsvermögen zwischen gemeinsamen Forschungsgebieten und Sensibilitäten von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu fördern.

Credits: Rocio Pilar Lara

Mir gefällt die Idee von Kunst und Wissenschaft als performative Alltagspraxis. Es impliziert die Möglichkeit, Dinge des täglichen Lebens in wissenschaftlichen Labors und Kunststudios zu tun. Einige dieser Praktiken ermöglichen einen besseren Zugang und eine bessere Interaktion zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, wenn sie ein Alltagsleben teilen. In der Regel setzen wir dies so um, dass wir den Aufenthalt von KünstlerInnen im „Wissenschaftsraum“ fördern und umgekehrt. So kommt es zwischen den KünstlerInnen und ForscherInnen zu systematischen Treffen in Laboren, betreiben technische Geräte und Methoden, studieren relevante Theorien und Rahmenbedingungen für Recherchen, tauschen Ideen und Debatten aus, und so weiter, aus. Wir versuchen, einen Rahmen für ein solches Praxis-Mentoring zu schaffen und die Interaktionen zu steuern, die für den Aufbau einer guten Empathieverbindung grundlegend sind.

Im Laufe der Jahre hat das Muntref ein Netzwerk von Fachleuten aus den unterschiedlichsten Bereichen sowohl aus Argentinien als auch aus dem Rest der Welt aufgebaut, das seinen Erfahrungsschatz für die Entwicklung künstlerisch-wissenschaftlicher Projekte ausmacht. Unser Hauptpartner ist das Labor für Neurowissenschaften an der Universität Torcuato Di Tella in Buenos Aires. Wir haben Kooperationen in verschiedenen Bereichen wie Lese- und Bildkognition, modalübergreifende Forschung, Sozialpsychologie, Lernprozesse, und anderen Bereichen. Weitere Institutionen und unabhängige ForscherInnen, wie die University of Buenos Aires, University of Quilmes, INVAP, Oxford University, etc. haben sich uns ebenfalls angeschlossen.

An wen richtet sich die Residency des European ARTificial Intelligence Lab genau?

Mariano Sardón: Die Residency ist für alle WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, DesignerInnen, MusikerInnen usw. gedacht, die Projekte haben, die Neurowissenschaften und KI und Kunst im weitesten Sinne beinhalten. Wir suchen nach neuen Erkenntnissen über KI-Techniken und Neurowissenschaften. Wir suchen jede und jeden, die oder der bereit ist, mit anderen Visionen zu interagieren, die oder der bereit ist, tief in andere Praktiken und andere Weltanschauungen einzutauchen.

Credits: Rocio Pilar Lara

Die ausgewählte Künstlerin bzw. der ausgewählte Künstler wird die Residency auch im Laboratorio de Neurociencia de la Universidad Torquato Ditella antreten. Welche Möglichkeiten gibt es dort? Welche Ziele hat sich das Labor gesteckt?

Mariano Sardón: Das Labor für Neurowissenschaften der Universität Torcuato Di Tella ist unser Hauptpartner des Netzwerks. Wie ich bereits gesagt habe, gibt es bei uns viele Interaktionen für die verschiedensten Projekte. Es ist eine interdisziplinäre Gruppe, die sich aus PhysikerInnen, PsychologInnen, BiologInnen, IngenieurInnen, ErziehungswissenschaftlerInnen, BiotechnologInnen, LinguistInnen, MathematikerInnen, KünstlerInnen und InformatikerInnen zusammensetzt.

Die Gruppe hat ein breites Interesse an Neurowissenschaften und experimenteller Psychologie und hat zahlreiche Interaktionen mit VertreterInnen verschiedener Bereiche der menschlichen Kultur entwickelt, darunter MusikerInnen, professionelle SchachspielerInnen, GrundschullehrerInnen, MathematikerInnen, MagierInnen, bildende KünstlerInnen und KöchInnen. Eine gemeinsame Motivation der Gruppe ist es, nach und nach phänomenologische Aspekte des Geistes in quantitative Bereiche zu integrieren, zu versuchen, agnostisch und innovativ in den Methoden zu sein und auf neue Weise entstehende Ideen zu kombinieren.

Auf was freuen Sie sich besonders bei dieser Residency?

Mariano Sardón: Die Residency wird an zwei Orten und in zwei Teilen stattfinden, in Buenos Aires und Linz. Der erste Teil des Aufenthalts wird sich mit der Feststellung gemeinsamer Interessen zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen befassen und den Ausgangspunkt des Projekts festlegen. Wir werden uns von Anfang an Zeit nehmen, um den nächsten Schritt für das Projekt zu entwerfen und dabei verschiedene Perspektiven berücksichtigen. Dieses gemeinsame Szenario setzt ein strategisches und erhebliches Interesse für verschiedene Bereiche voraus.

Durch die Schaffung eines solchen Kontextes für das Projekt hoffen wir, Prozesse mit starken Beziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft zu schaffen, die nach einem kreativen Weg in der Erforschung von Kunst, Neurowissenschaften und Künstlicher Intelligenz suchen. Wir werden die Residency in Buenos Aires sowie in Linz unterstützen und begleiten. Und wir erwarten, dass aus der Residency eine langfristige kreative Forschung gedeiht, die in der Lage sein wird, Spin-offs in mehrere Richtungen zu produzieren. Wir freuen uns auch darauf, mehrere Dimensionen der Bedeutung von KI- und neurowissenschaftlichen Praktiken zu eröffnen, die auf einer starken künstlerischen Handlung beruhen.

Ich freue mich darauf, dass die Kunst für den Prozess grundlegend wird, denn sie kann wie ein flexibler Klebstoff funktionieren, um unerwartete Brücken zwischen Konzepten, Methoden, Wahrnehmungen, Materialien und Visionen zu schlagen und zu produzieren.

Alle Infos, wie Sie sich für die Residency des European ARTificial Intelligence Lab bewerben können, finden Sie auf ars.electronica.art/ailab!

Creative Europe
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Mariano Sardón, geboren in Argentinien, studierte Physik an der Universität Buenos Aires und derzeit Professor und Leiter des Studiengangs Elektronische Kunst an der Universidad Nacional de Tres de Febrero. Buenos Aires, Argentinien. Er erhielt den „Konex-Preis“ in der Kategorie Bildende Kunst 2012 der Konex Foundation, Buenos Aires, den „Experimentation prize in Non-traditional supports and video 2008“ der Argentinischen Vereinigung der KunstkritikerInnen.

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