Ein etwas anderes Jury-Wochenende

groupphoto2020, Group Photo 2020

AutorInnen: Martin Hieslmair, Barbara Hinterleitner, Katia Kreuzhuber

Es ist der Beginn des Jahres 2020. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, ist es niemandem mehr möglich, um die Welt zu jetten, keiner ist vor einer Ansteckung gefeit und Abstand ist das oberste Gebot. Eine Pandemie ist angsteinflößend, allumfassend, einschränkend. Und sie macht auch vor der Medienkunst nicht Halt.

Deswegen war es heuer notwendig, einen unserer liebsten Termine im Kalender der Ars Electronica ins Digitale zu verlegen. Wie so viele Meetings im Moment, findet an diesem Wochenende das Jurymeeting des STARTS Prize und des Prix Ars Electronica via Videokonferenz-Software statt. Das ändert aber nichts daran, dass trotz Zeitverschiebung, trotz physischem Abstand, trotz technischer Herausforderungen und äußerer Umstände zahlreiche großartige Projekte drauf warten, zu Siegern gekürt zu werden.

STARTS Prize

Freitag, 1. Mai, 14:58 Uhr. Eben noch zu zweit im Chat, öffnen sich nun im Sekundentakt die Chatfenster der diesjährigen Jury des STARTS Prize. Es ist der offizielle Start des Jurywochenendes, in dessen Verlauf die vielen Einreichungen immer feiner gefiltert werden, um am Ende die beiden Gewinnerprojekte zu küren. Der Ablaufplan wird eingeblendet, das Team neben der Jury vorgestellt, Tagesziele definiert, Clustervorschläge ausgetauscht, Kriterien diskutiert. Die diesjährigen Jurymitglieder sind ein Gemisch aus alten Hasen und NewcomerInnen. Erstmals treffen sie nicht real aufeinander, sondern ausschließlich im virtuellen Raum. Die Gesprächsbasis ist von lockerer Professionalität.

Soll die aktuelle Lage in der Bewertung Beachtung finden? Haben mutige, überraschende, humorvolle Projekte angesichts einer weltweiten Ausnahmesituation einen Vorteil? Wieviel Gewicht darf der emotionalen Zustimmung gegeben werden und wo muss Pragmatismus siegen? Wie fließen die unterschiedlichen Produktionsbedingungen in die Bewertung ein? Wie groß muss der künstlerische Anteil sein? Macht es Sinn, Projekte in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen, die bereits die Big Player als Geldgeber im Boot haben? Es ist ein spannender Prozess, den wir hier beobachten dürfen und mit Spannung erwarten wir auch das Ergebnis desselben.

STARTS Prize Jury 2020

Computer Animation

Wenn im Jahr 2020 viel mehr digital sein kann als 1987, dem ersten Jahr der Kategorie „Computer Animation“, was macht dann eine Computeranimation heute eigentlich aus? Reicht es, wenn etwas „nur“ visuell beeindruckt? Und wie kann man große und gut finanzierte Produktionen, die von einem riesigen Team kreiert wurden, mit Low-Budget-Animationen einer Einzelperson vergleichen? Wenn nicht alle eine VR-Brille zuhause haben, ist das dann eigentlich möglich, solche VR-Projekte zu beurteilen? Aber betrifft das dann eigentlich nicht genauso Installationen, die man selbst vor Ort noch nie erlebt hat? Es sind Fragen wie diese, die die Grundlagen der weiteren Diskussion prägen. Der Jury geht es darum, Einreichungen zu belohnen, von denen man eigentlich „mehr“ sehen möchte. Animationen sind nicht nur visuelle Erzählungen einer Geschichte, es sind auch Botschaften darin verpackt.

Schon zu Beginn ist klar, dass es der Jury nicht leichtfallen wird, sich für genau das eine Goldene-Nica-Projekt zu entscheiden, „aber wir sitzen alle im selben Boot“, klingt es da aus den fünf Home-Offices. Der große neue technologische Wandel im Animationsbereich ist nicht zu erkennen, es zeichnen sich vielmehr kleine Entwicklungen und Verbindungen in diesem riesigen Container der „Computeranimation“ ab. Ob Cartoons, CGI, Installationen, Performances, Projection-Mappings, 360-Grad-Videos, experimentelles Kino, Selbstreflexionen oder Virtual Reality – es gibt viele Unterkategorien in dieser breit gefächerten Kategorie. Und je mehr sich die Jury mit den Perlen dieses Jahres beschäftigt, umso mehr wächst sie mit ihren unterschiedlichen Zeitzonen und Wissenshintergründen zusammen. Ein guter Ausgangspunkt, um sich für eine Goldene Nica zu entscheiden.

Computer Animation Jury 2020

Digital Communities

Es hat eine Pandemie gebraucht, dass sich die Jury der Kategorie „Digital Communities“ zum ersten Mal seit ihrem Bestehen – seit 16 Jahren – nicht in Linz zusammentrifft sondern sich nur digital am Bildschirm gegenübersitzt. Damit ist sie erstmals selbst eine Digital Community geworden. Eine neue Situation, auch für die JurorInnen selbst. Es ist ein ständiges Wechseln zwischen konzentrierten Telekonferenz-Gesichtern, der Datenbank mit den eingereichten Arbeiten, dem gemeinsamen visuellen Mindmapping mit fünf sich gleichzeitig bewegenden Mauszeigern, vielen geöffneten Browser-Tabs und Office-Programmen.

Da sich diese Jury wie jede andere auch jedes Jahr aufs Neue zusammensetzt, wird auch hier anfangs die Vorgehensweise diskutiert, wie man sich in den wenigen verbleibenden Stunden gemeinsam auf eine Goldene Nica einigen könnte, auch wenn manche JurorInnen sie schon am ersten Tag sehen. Es ist ein schrittweises Ausschließen und Hervorheben von vielen Möglichkeiten. Und was sind Digital Communities eigentlich? Geht es darum, dass sich Menschen im digitalen Raum organisieren, um gemeinsam Krisen zu bewältigen? Ist es nicht so, dass das beste Projekt aus dieser Kategorie ein breites Publikum erreichen sollte und auch anderen Communities Mut geben sollte, ähnliches zu tun? Es gibt einige Projekte, die leider nur als Konzept existieren, oder es gibt Initiativen, die zwar schon online sind und gemeinsam wichtige Ideen sammeln, es aber dann schließlich an der konkreten Umsetzung im echten Leben fehlt. Sind wir gespannt!

Digital Communities Jury 2020

Interactive Art +

Ein straffer Zeitplan, aufgeteilt auf drei Stunden täglich, fünf Jurymitglieder in ihren Homeoffices und drei BetreuerInnen, die alle Hände voll zu tun haben: Bereits zu Beginn ist klar, dass die Entscheidung keineswegs leichter wird, als in den Jahren zuvor. An Tag 1 gehen aber alle mit Spaß, Konzentration und Professionalität an die Arbeit. Aufgrund der guten Vorbereitung und den Möglichkeiten, die Onlinetools bieten, muss der Prozess an sich nicht mehr lange diskutiert werden. Die Kategorie an sich, das heißt, wie sich „Interactive Art +“ definiert, ist für alle klar, trotzdem stellt sich bei der Betrachtung der Arbeiten manchmal die Frage „Is there interaction?“. Die Themen der Arbeiten sind aktuell, unterscheiden sich klar von den Einreichungen der Vorjahre und sind beeinflusst von gesellschaftlichen, kulturellen und globalen Phänomenen.

Alle sind gut vorbereitet, kennen die Projekte und können deshalb direkt in die Diskussion einsteigen. Relativ bald gibt es bereits das erste Voting darüber, welche Projekte „eine Runde“ weiterkommen. Abgestimmt wird, indem ein gut sichtbares Handzeichen gegeben wird. „Please raise your hand now“ wiederholt das Organisationsteam bei jeder Abstimmungsrunde. Schnell können die Projekte halbiert und am Tag darauf noch einmal halbiert werden. „Es fühlt sich nicht so an, als ob wir durch die Entscheidungen hetzen, weil sich jeder sehr lange alleine mit den Arbeiten beschäftigt hat.“ Die Aussage „I’m ready to defend this one until the last minute“ fällt ziemlich bald und macht einen Ausblick auf die finale Entscheidung umso spannender.

Interactive Art + Jury 2020

u19 – create your world

Die u19 – create your world Jury stellt eine Ausnahme in der Ausnahmesituation dar: Treffen sich alle anderen Gruppen nur drei Stunden täglich, behält diese Jury beinahe den „normalen“ Zeitplan bei, alle sitzen im selben Land, und doch treffen sie sich lediglich digital, vor ihren Bildschirmen. Das bringt neben kleineren technischen Schwierigkeiten zwischendurch nette, private Momente mit sich, wenn die Katze „photobombt“ indem sie über den Computer läuft oder Familien im Hintergrund durchs Bild huschen. Dazu kommt, dass sich die OrganisatorInnen eine kleine Überraschung einfallen haben lassen, weshalb die Postlieferung von den Jurymitgliedern sehnsüchtig erwartet wird.

Aber jetzt zum Inhaltlichen: Die Zeit, die zur Verfügung steht, ist bitter notwendig. Games, Filme, analoge Projekte und Ideen wollen bewertet und diskutiert werden, unterschiedliche Preiskategorien, eine Goldene Nica und ein Spezialpreis warten darauf, auf zahlreiche großartige Projekte verteilt zu werden. Zu Beginn fallen die Abstimmungen zwar noch leicht, je dünner die Luft und je rarer die Preise werden umso schwieriger wird es, einen Konsens zu finden. Erschwerend für die Entscheidung kommt hinzu, dass es oft nicht so leicht ist festzustellen, wieviel „Hilfestellung“ die jungen KünstlerInnen wirklich hatten und wie diese zu bewerten ist. Eines zeigt sich ganz klar: Manchmal braucht es mehr als einen Blick oder eine Änderung des Blickwinkels, um die Welt der Kinder und Jugendlichen, die hinter den Projekten liegt, zu verstehen.

u19 – create your world Jury 2020

Nie war so klar wie dieses Jahr, dass egal was passiert, egal wie „besonders“ die Umstände sein mögen, es trotzdem auch heuer wieder am Sonntag heißen wird: Auf die GewinnerInnen, auf die Medienkunst, auf ein erfolgreiches Jurywochenende! Vielen Dank, es hat mich sehr gefreut und bis zum nächsten Jahr!


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