THE WILD STATE

Portrait of a Generative Memory_Indiara Di Benedetto_2000x1000, Portrait of a Generative Memory, Indiara Di Benedetto

Welche es auch sein mögen, sie alle sind willkommen am Campus der Kunstuniversität Linz beim Ars Electronica Festival 2020! Denn THE WILD STATE verweist nicht nur auf ein ungezähmtes Territorium, in dem vieles geschehen und erprobt werden kann, es ist auch die Beschreibung des Zustands des impulsiven Unbekannten, des Resilienten, des Zufälligen. Es ist wie ein Naturgarten oder in der Wildnis, wo etwas wächst, sich entwickelt und blüht, ohne geplant, kontrolliert oder kultiviert worden zu sein.

Im so besonderen Jahr 2020 stellte der Kunstuni Campus die Beteiligten vor ganz neue Aufgaben; finanziell, organisatorisch und künstlerisch. Doch diese Herausforderungen sind auch eine Chance, zumindest für das THE WILD STATE Programmteam bestehend aus Christa Sommerer, Manuela Naveau, Julia Nüßlein, Sylvia Leitner und Davide Bevilacqua. Wir stellen euch Entstehungsgeschichte, Formate und Projekte vor.

The Wild State, Foto: Nicolas Naveau

Jedes Jahr nimmt die Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz einen wichtigen Part im Gesamtgeschehen des Ars Electronica Festival ein. Das sollte auch 2020 so sein, gab es doch das neue Rektorat mit Brigitte Hütter – es wurde durch den Lockdown Mitte März aber ungleich erschwert. Von einem Tag auf den andern reduzierte sich das gesamte Leben auf ein Minimum – und traf die jungen Studierenden und Künstler*innen besonders hart. Sie fallen aus allen Töpfen heraus und haben keine Aussicht auf Sommerjobs, teilweise waren sie eben erst für ein Sommersemester angereist und hatten noch keinerlei Netzwerk.

Und so trafen sich Christa Sommerer und Manuela Naveau zu einem Gespräch in Sommerers Garten, um eine Vision im Kopf entstehen zu lassen. Schnell war klar, wie notwendig eine Beteiligung der Kunstuni war, sowohl um den Studierenden eine Möglichkeit der Präsentation wie auch der Arbeit hierfür zu geben. Rasch stand dann auch das Thema fest, das bei den Studierenden großen Anklang fand. Wieviel wird kultiviert, wieviel darf sich ohne Beschnitt entwickeln, wo darf alles wuchern wie es will. Diese Form des Prozesses wird in THE WILD STATE hinterfragt und ist der Tenor hinter allen Aktivitäten.

Interfaces Cultures: The State of Intimacy

Der Status der Intimität, der in dieser Ausstellung hinterfragt wird, ist gleichzeitig ein Ausnahmezustand. Die Studierenden lassen uns hier hinter die Kulissen blicken, wie sie den Lockdown er- und überleben konnten und welche Fragen sie und ihr auf ein Online-Dasein beschränktes Ich beschäftigten.
Manche Studierende ziehen uns mitten rein in ihre intime Privatheit, als wären wir direkt im Geschehen, während andere wiederum darauf bedacht sind, uns ja draußen zu halten. Aber alle gemeinsam fragen sie nach unserer Privatsphäre – als physische Personen und als Online-Wesen. Welche Auswirkungen haben diese Beschränkungen auf unser Privatleben? Wie verletzlich sind wir online? Was macht soziale Distanz mit der Demokratie? Die Ausstellung wurde von Fabricio Lamoncha Martinez kuratiert.

In between Privacy, Jaskaran Anand, Stefan Fuchs, Foto: Jaskaran Anand, Stefan Fuchs

The Wild State: Networked

Wenn auch die Umstände die Präsentation einer Partneruniversität 2020 verhindert haben, so wurde stattdessen ein Call an bestehende und mögliche künftige Partneruniversitäten geschickt, die besten Arbeiten von Studierenden zum Thema Covid-19 auszustellen. 13 Universitäten haben sich beteiligt, um die 30 Arbeiten werden ausgestellt. Kuratiert und produziert wird diese Ausstellung von Julia Nüßlein und Davide Bevilacqua. Es gibt Studierende, die zum Festival kommen und auch solche, die die Arbeit schicken, es gibt Video- und Soundarbeiten, interaktive Installationen, architektonische Interventionen und vieles mehr.

Unheimliche Freunde

Ein besonderer Kooperationspartner 2020 ist die Abteilung für Medientheorie an der Kunstuniversität Linz. Gloria Meynen, Leiterin des Departments, stellte das Symposium „Unheimliche Freunde“ zusammen – eine Thematik rund um Furcht und Verdacht vor unseren Online-Identitäten, den Möchtegern-Freunden wie Siri oder Alexa und den uns ständig begleitenden Körper- und Überwachungskameras. Was macht Künstliche Intelligenz mit uns? Und wie berechtigt ist die Furcht vor den Maschinen, die uns zu ähnlich werden? Werden sie uns denn ähnlich?
Keynotes kommen von Lynn Hershman Leeson, Thomas Macho und Janina Loh. Dieses spannende Symposium findet auf der Kunstuni statt und wird gleichzeitig gestreamt, ebenso wie manche Ausstellungsrundgänge – wodurch eine Einbindung der Community stattfindet, auch wenn diese nicht vor Ort sein kann. Darüber hinaus finden spezielle Netzwerktreffen mit Studierenden und Künstler*innen aus der Ausstellung statt.

Sound Campus

Ein neues Format ist der Sound Campus, zusammengestellt von Enrique Tomás. Hier werden experimentelle Klangpraktiken und ihr Forschungsstatus an Universitäten untersucht. Studierende und Forscher*innen sollen dem Publikum des Ars Electronica Festivals neues Verständnis von Klangkunst präsentieren – von unbehaglichen Performances bis zu aufdringlichen Melodien schwingt die kritische Gegenwart hier mit.
Von Donnerstag bis Samstag gibt es bis 23 Uhr Programm, das live erlebt werden kann und gleichzeitig gestreamt wird.

A distributed location performance, AWNJS All Women’s Networked Jam Session, Foto: AWNJS – All Womens Networked Jam Session

Agora Digitalis

Der Meeting Point der Campus Ausstellung 2020 ist die Agora Digitalis (kuratiert von Anne Nigten und Carla Zamora) – ein informeller Rahmen, ein physischer und virtueller Ort des Diskurses. Hier gibt es Gespräche zu Performances, Ausstellungen, Talks und Diskussionen mit Beteiligten von der Kunstuni, Professor*innen, Lehrenden, etc. Jede und jeder kann seine Ideen vor- und einbringen, kritisch hinterfragen, Utopien in die Runde werfen und natürlich über die jüngsten Ereignisse sinnieren. Hierfür gibt es sowohl vorgegebene Zeitpunkte, es gibt aber auch „Bring your own Art“-Slots, wo nicht zuvor festgelegte Arbeiten präsentiert werden können.

Interfacing Hauptplatz

Der Hauptplatz Linz ist das Zentrum der Stadt und genau da liegt auch das Hauptgebäude der Kunstuniversität. Und so verwandelt sich die Fassade der Adresse Hauptplatz 8 in ein virtuelles Fenster zur ganzen Welt. Das Künstlerduo DEPART bespielt mit „The Transient Shadows“ von Donnerstag bis Samstag die Pestsäule mit Nebel und Licht – nicht von ungefähr findet hier das Zeichen für die Pestseuche des 18. Jahrhunderts Eingang in unsere pandemische Aktualität. In 10-minütigen Flash-Performances präsentiert sich der Hauptplatz auf sehr eindrucksvolle Weise, bevor „Antopolis“ von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau die Menschen am Hauptplatz in geschäftig wuselnde Ameisen verwandelt.

Antopolis, Laurent Mignonneau, Christa Sommerer, Foto: Laurent Mignonneau, Christa Sommerer

Noch nie waren verschiedene Abteilungen der Kunstuniversität Linz so umfangreich in ein Ars Electronica Festival eingebunden: Fashion & Technology, Bildnerische Erziehung, Gestaltung: Technik, Textil, Visuelle Kommunikation, aber auch abteilungsübergreifende Projekte wie der telematische Improvisationsworkshop „Latency Now“ oder der Internetflohmarkt Yami-Ichi sind am Hauptplatz 8 vertreten.

Hier sind wir wieder beim WILD STATE. All diese Themen, Projekte und Formate bilden ein möglichst offenes, experimentelles Forum mit einer Mischung aus geplanten und ungeplanten Veranstaltungen. Es ist der Versuch eines Wildwuchses, der Versuch, ein Festival geschehen und ein Festivalfeeling entstehen zu lassen. Natürlich sind die Möglichkeiten beschränkt, aber genau in einem so offenen, experimentellen Setting entstehen die ungewöhnlichsten Dinge. Wir sind gespannt!

Mehr zum Ars Electronica Festival könnt ihr auf dieser Website nachlesen, außerdem haben wir unter dem Motto „Inside Festival“ jede Woche spannende, neue Videobeiträge aus aller Welt für euch und auch auf unseren Social Media Kanälen geben wir laufend Ausblicke und Einblicke, was euch heuer erwarten wird.

, , , , , ,