Das Festivalthema “A New Digital Deal” fragt nach unseren Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten, wenn es um die Zukunft geht. Es steht für den auf mehreren Ebenen immer lauter werdenden Ruf nach einem neuen Deal, nach Lösungsvorschlägen und –ansätzen. Es geht darum, wie dieser Deal zu verstehen ist und wie er aussehen kann.
„Digitalisierung ändert nicht unsere Welt, stattdessen aber umso grundlegender die Art und Weise, wie und was wir in dieser Welt tun können und müssen.“
Wir stellen uns rund ums Ars Electronica Festival Fragen wie: Wie können wir die digitale Welt reparieren, die Probleme in den Griff bekommen und dennoch die immer öfter sichtbar werdenden Avancen eines machtpolitischen Durchgreifens verhindern? Welche Skills und welche Expertisen brauchen wir dafür, wo und wie werden wir diese Skills erwerben können, wo und wie die notwendigen Expert*innen ausbilden? Welche Rollen kommen jedem und jeder von uns dabei zu?
Unter dem Schirm des „New Digital Deal“ widmen wir uns Themen wie „Ecology“, „Digital Education“ oder „Another Tech is possible“. In diesem und den darauffolgenden Beiträgen gehen wir auf diese einzelnen Aspekte des Festivalthemas näher ein, werden erklären, was wir damit meinen, welche Fragen damit verbunden sind, wie sie dich und jeden einzelnen von uns betreffen und wo du diesen Fragen im Festivalprogramm begegnen kannst – um am Ende vielleicht sogar Handlungsmöglichkeiten für dich, für jeden einzelnen, für die Gesellschaft zu begegnen.
Ecology oder Die einen glauben, 2°C mehr halten wir locker aus
Schlimme Überschwemmungen in Deutschland, Hitzewellen und Waldbrände in Südeuropa und der Türkei, Hagelstürme, die nicht nur Österreich sondern sogar Großbritannien überziehen – von Tornados und Wirbelstürmen gar nicht zu sprechen. Die Auswirkungen des Klimawandels liegen nicht in der Zukunft, wir sind bereits mitten drinnen. Jetzt ist der spätestmögliche Zeitpunkt um zu handeln. Wir müssen ins Tun kommen. Die Kunst liefert uns neue Denkanstöße, die Wissenschaft versorgt uns mit Daten wie etwa Satellitenbildern und mit dem nötigen Hintergrundwissen, um uns das Rüstzeug dafür mit auf den Weg zu geben. Jetzt liegt es an uns…
Dass sich die European Platform for Digital Humanism und ihre Einzelprojekte der Ökologie verschrieben haben, darüber haben wir bereits in einem früheren Beitrag ausführlich geschrieben. Projekte wie Studiotopia, Roots & Seeds oder STARTS1 werden jedenfalls auch ein wichtiger Teil des Festivals – sowohl onsite in Linz wie auch online wie auch in den Gardens in Europa – sein.
Auch eine große Anzahl an Ars Electronica Gardens auf der ganzen Welt beschäftigen sich sowohl online wie auch in ihren offline Programmen mit dem Thema Ecology:
Was ist „grün“? Sind wir „grün“? Und ist es die vegetative Welt überhaupt? Mit monumentalen biotechnischen Installationen, olfaktorischen Porträts von Bäumen und der chemischen Nachstellung historischer giftiger Pigmente beschäftigt sich der von der Muffathalle München initiierte und von Jens Hauser kuratierte Ars Electronica Garden Munich „GREen – Sampling Color — Farbe Vermessen“ mit Debatten zur Klimapolitik im Spannungsfeld von Kunst, Natur und Wissenschaft.
Esch-sur-Alzette, das grenzüberschreitende Gebiet im Süden Luxemburgs, befindet sich im Wandel: Ein ehemaliges Stahlindustriegebiet wird sich in ein Zentrum für zukunftsorientiertes Wissen und innovative Kreativität verwandeln. Esch2022 – Kulturhauptstadt Europas lud Ars Electronica Export ein, mit einer kuratierten Ausstellung in der Möllerei Teil dieses Wandels zu werden. Die Ausstellung lädt die Besucher*innen ein, Kunst als Werkzeug für uns Menschen zu erkunden, um die Zukunft zu verstehen und sich vorzustellen zu können.
Der Ars Electronica Garden Bologna/Fano mit dem Titel „Data Tour d’Italie – A journey about environmental challenges“, kuratiert von Federico Bomba und Filippo Rosati, ist sowohl ein Projekt als auch ein Netzwerk. Es befasst sich mit Daten und der Umwelt und verbindet kulturelle und wissenschaftliche Forschungszentren aus verschiedenen geografischen Gebieten Italiens: Städte in den Bergen, Inseln und Küstenstädte. Der Garden präsentiert die Ergebnisse von vier künstlerischen Residencies, die sich jeweils auf eine spezifische Umweltproblematik beziehen, die sich aus der Datenerfassung und -analyse ergeben hat: Bologna: Luftverschmutzung mit „Moss“ von Marco Barotti Cagliari: Regen- und Windveränderungen mit „Entu“ von Emanuele Balia und Marcello Cualbu Fano: Mikroplastik im Meerwasser mit „Un millesimo di millimetro“ von Giovanni Muzio Val Camonica: das Schmelzen der Gletscher mit „Un suono in estinzione“ von Neunau.
Ars Electronica Garden Buenos Aires „The Pulse of Earth – From the Olympus of Gaia to the Blockchain and NFTs“ betrachtet den Planeten als einen lebendigen Organismus, der 4,5 Milliarden Jahre alt ist. Es gibt viele Möglichkeiten, den Puls der Erde zu messen. In diesem interdisziplinären Projekt wird er aus verschiedenen Blickwinkeln wie beispielsweise der geologischen Sichtweise oder den Naturgewalten erforscht. In diesem Projekt wird untersucht, wie der Mensch – bewusst oder unbewusst – die Natur kopiert, zum Beispiel über das Konzept der Blockchain…
Wie können wir wahrnehmen, was nicht visuell greifbar ist? Ein Araukarienbaum, schwebend über einem riesigen schwarzen Raum, erzeugt von einem LiDAR-Scanner… Diese 3D-Bilder sollen die Art und Weise revolutionieren, wie wir Veränderungen von Baumstrukturen und Waldökosystemen begreifen, und ist gleichzeitig die treibende Kraft hinter dem Projekt Polygonal Forest des Ars Electronica Garden Araucanía.
Bei über 80 Gärten ist es nicht leicht, eine Auswahl zu treffen, daher hier noch eine Selektion an Gardens, die sich mit spannenden Projekten rund um Ökologie beschäftigen: Ars Electronica Garden Vienna/Venice „The Sea—Sounds & Storytelling II“, Ars Electronica Garden Mumbai „Opening Doors“, Ars Electronica Garden Barcelona Quo Artis „Roots & Seeds XXI. Biodiversity Crisis and Plant Resistance“, Ars Electronca Garden HYDRA (Sevkabel Port / St. Petersburg) und viele mehr. Hier könnt ihr im Programm all unserer Ars Electronica Gardens 2021 stöbern.
Kommen wir zu den Projekten vor Ort, in Linz, in Kepler’s Gardens am Campus der JKU: Einzelne Projekte der Themenausstellung, die wir besonders hervorheben möchten, sind zum Beispiel How to make an ocean von Kasia Molga. Nach einem verheerenden Verlust im Herbst 2019 kämpfte sie mit ihrer Trauer. Sie weinte viel und begann schließlich, ihre Tränen zu sammeln, während sie sich fragte, ob diese ein neues Leben im Meer beginnen und dann auch aufrechterhalten könnten. Heuer Teil der Themenausstellung entstand das Werk im Rahmen einer EMAP/EMARE Residency2 und mit Mitteln des Creative Europe Programme der Europäischen Union.
Nicht weniger spannend ist dieses Projekt: The Museum of Edible Earth beschäftigt sich mit den Fragen: Was steht hinter den Traditionen des Erdessens? Woher kommt die essbare Erde? Was sind die möglichen Vorteile und Gefahren des Verzehrs von Erde? Wie gehen wir als Menschen mit unserer Umwelt um? Im Community Project “Taste your SOIL”, das seinen Ausgang in ebendiesem Museum, dem Gewinner eines Award of Distinction in der Kategorie “Artificial Intelligence & Life Art” des Prix Ars Electronica 2021, hat, werden verschiedenste Partner des Festivals aufgefordert, die Erde auf der sie stehen und mit der sie leben, zu kosten und ein Video davon zu machen. Das Ergebnis wird am Festival präsentiert.
Auch Teil der Themenausstellung und ebenfalls interessant in Zusammenhang mit den Fragen rund um Ecology sind die Projekte Codex Virtualis, Transformation of Scenery und auch Cypress Trees. Aber wir wollen ja noch nicht zu viel vorweg nehmen… Diese und viele Projekte mehr könnt ihr euch von 9.-12. September live In Kepler’s Gardens am Campus der JKU ansehen.
In der u19 Prix Exhibition, die sich ebenda, In Kepler’s Gardens, befindet, rund um den Teich und entlang des Kepler Gebäudes und somit passenderweise umringt von sehr viel Grün, bekommen Besucher*innen einen Einblick in die Denkweise, in zukunftsweisende Ansätze und Ideen von Kindern und Jugendlichen. So ist es nicht verwunderlich, dass das Thema Klimawandel, der Umgang mit Ressourcen und der Umwelt eine immer größere Rolle bei diesen Projekten spielt.
Das Konferenzprogramm steht ebenso im Zeichen des New Digital Deal, ausgerichtet wird sie heuer vom Branch Magazine, dem Gewinner des Ars Electronica Award for Digital Humanity. Exemplarisch möchten wir auf die Konferenz “AI and Climate Change: The Promise,the Perils and Pillars for Action” von Eirini Maliaraki hinweisen. KI-Systeme haben das Potenzial, das Wirtschaftswachstum von den steigenden Kohlenstoffemissionen und Umweltzerstörung zu entkoppeln. KI als ein Bündel von Daten, Lernalgorithmen und Sensorik kann sowohl bei der Entkopplung der Auswirkungen als auch der Ressourcen helfen. Wir sind gespannt darauf, mehr über dieses Potenzial im Rahmen dieser Konferenz zu erfahren.
Ein langjähriger Partner der Ars Electronica ist zugleich Pionier, was Umweltschutz, die Bestellung des Bodens auf naturfreundliche Weise und nicht zuletzt gutes Essen angeht: Bio Austria. Auch heuer wieder steht der Bauernmarkt ganz im Zeichen des Klimaschutzes, Fragen rund um Ökologie, die Landwirtschaft der Zukunft oder das Miteinander von Mensch und Natur werden bei einem Glaserl Bio-Apfelsaft und einem Käseweckerl aus der Region diskutiert. Hier gibt’s mehr zum Bauernmarkt zu lesen, der am Festival-Samstag am Campus der JKU stattfinden wird.
Springen wir ein paar Straßenbahn-Stationen weiter: Im Ars Electronica Center beschäftigen sich zahlreiche Projekte und gar eine ganze Ausstellung mit Ökologie und dem Klimawandel: Einerseits die bereits bestehende Global Shift Ausstellung. Das großteils in-house von Ars Electronica Solutions aufbereitete Projekt wurde mittlerweile zur Kernkompetenz der Abteilung. Außerdem können Workshops zum Thema gebucht werden, unter anderem für Unternehmen. Andererseits wird am 7. September die neue Ausstellung “There Is No Planet B” eröffnet, die sich mit der globalen Erwärmung und der menschlichen Verantwortung auseinandersetzt. In Kooperation mit dem Klima-Energiefonds wird hier aber nicht nur die Dringlichkeit der Situation verdeutlicht, vielmehr zeigt die Ausstellung auch auf, dass es Lösungsansätze und ein immer breiteres gesellschaftliches Engagement gibt, um sie zu bewältigen. Und auch im Deep Space 8K spielt die Beziehung zwischen Mensch und Natur eine große Rolle, zum Beispiel im Projekt Burning Trees.
Zum Abschluss dieser Compilation möchten wir noch auf einen Partner hinweisen, der uns nicht nur mit Computern und Screens versorgt, sondern ebenfalls gut zum Festivalschwerpunkt und zu unseren Anliegen passt: Die Ars Electronica wird seit 2019 von AfB – Arbeit für Menschen mit Behinderung – mit IT-Geräten ausgerüstet. Nicht nur die Anstellung von Menschen mit Behinderung macht AfB einzigartig, sondern auch der nachhaltige Unternehmensschwerpunkt. AfB spezialisiert sich auf die Wiederverwendung von ausgemusterten Geräten unterschiedlicher IT-Betriebe. Die Geräte werden inventarisiert, zertifiziert gelöscht, getestet, gereinigt und mit einer 1-Jahresgarantie wiedervermarktet. Mithilfe dieser Strategie hat das Unternehmen dafür gesorgt, dass die Umwelt und Menschen gefährdende Rohstofftrennung von IT-Tools in Dritte-Welt-Ländern eingedämmt wurde.
Mehr über das Ars Electronica Festival könnt ihr laufend hier auf unserem Blog, auf der Website sowie auf unseren Social Media Kanälen – auf Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn nachlesen.
1 STARTS is an initiative of the European Commission under the Horizon 2020 research and innovation programme.
2 This project is presented in the framework of EMAP/EMARE, which is co-funded by the Creative Europe Programme of the European Union.