State of the ART(ist): “Kunst ist weder kriegerisch noch friedlich”

Future from the past, Future from the past: imaginations on the margins /Center for Urban History of East-Central Europe, Lviv, Ukraine (UA), photo: Bohdan

Die Zeiten sind herausfordernd, auch für uns, die wir seit fast 80 Jahren im Zustand des Friedens leben. Nur schwer kann man sich vorstellen, wie es ist, plötzlich unter Kriegsbedingungen aufzuwachen. Als Künstler*in die eigene Meinung nicht mehr öffentlich kundtun zu können, aus Angst, politisch verfolgt zu werden. Fliehen zu müssen, weil man die Stimme erhoben hat.

Wir als Ars Electronica sind davon überzeugt, dass das genau jene Zeiten sind, „wo wir Kunst als Raum brauchen, in dem Widersprüchlichkeiten möglich sein können, ohne gleich die eine oder andere Position auszuschließen“, so Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter Ars Electronica. „Das ist natürlich ein Minenfeld, aber die Zeit, in der man ganz klare Trennungen zwischen Gut und Böse ziehen konnte, sind, zumindest aktuell, mal vorbei.“ Gleichzeitig will und muss sich die Kunst und die Kurator*innen ebendiesen Widersprüchlichkeiten, die Krieg und politische Verfolgung aufwerfen, stellen, und sie ansprechen. „Das ist absolut wichtig, auch wenn jemand das dann vielleicht als Zumutung sieht, dass ihre*seine Position auch kritisch kommentiert wird. Widersprüchlichkeit wahrzunehmen und darzustellen heißt ja nicht, die Positionen, die sich gegenüberstehen, zu akzeptieren oder gar zu affirmieren. Die Widersprüchlichkeiten nicht auszublenden, sondern sie zu sezieren, zu zerlegen, offen zu legen, ohne gleich darüber zu richten, ist glaube ich viel wichtiger.“

Unter diesen schwierigen Bedingungen und mit Ausblick auf den aktuell laufenden State of the ART(ist) Call, der noch bis 3. Juli läuft und ausdrücklich politisch verfolgte Künstler*innen – nicht nur aber vor allem aus der Ukraine – unterstützen will, haben wir mit Martin Honzik, CCO und Managing Director der Ars Electronica, gesprochen, welche Herausforderungen es im Kurationsprozess gibt, wie man sich diesen Widersprüchlichkeiten stellen kann und mit welchen eigenen Unzulänglichkeiten man dabei auch und immer wieder konfrontiert wird.

Welche Rolle spielen Künstler*innen bzw. die Kunst allgemein im politischen Geschehen, in einem Kriegsgeschehen? Auch unter Künstler*innen gibt es ja verschiedene politische Strömungen, nicht alle setzen sich automatisch für die Menschenrechte oder für Meinungsfreiheit ein…

Martin Honzik: Das ist eine schwierige Frage. Was spielt überhaupt noch eine Rolle in Kriegszeiten? Die Rolle der Kunst in Kriegszeiten sollte grundsätzlich nicht überbewertet werden und kann auch keine generalisierte sein. Ich selbst bzw. meine Generation hat bis auf die Erzählungen unserer Eltern- und Großelterngenerationen und dem sehr nahe gekommenen Krieg im ehemaligen Jugoslawien nichts erlebt was dem nahe kommt. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass natürlich auch Künstler als Soldaten in den Krieg gezogen sind – freiwillig oder verpflichtet –, wie auch in der Ukraine. Und es gab auch Zeiten, in denen Krieg durch die Linse der Kunst idealisiert, glorifiziert und befürwortet wurde.

“Kunst ist nicht kriegerisch, aber auch nicht friedlich.”

Sie wird von Menschen sämtlicher nur möglicher Hintergründe und Gesinnungen produziert und erdacht, und wiederum von anderen individuell gelesen und interpretiert. Die Erfahrungen, die wir bisher im aktuellen Konflikt sammeln konnten, sind ein Spiegel davon. Wir haben z.B. viele Verbindungen und Beziehungen zur russischen Medienkunstszene, die fixer und wichtiger Teil der gesamten Szene ist. Dort herrscht Angst und Verzweiflung, Scham der russischen Position gegenüber und Loyalität gegenüber der Ukraine. Wir wissen von manchen, die direkt in Russland versuchen, den Ukrainer*innen zu helfen, von manchen die versuchen, ein normales Leben weiterzuführen und auch von manchen, die versuchen, das Land zu verlassen oder dies bereits geschafft haben. Es ist aber erkennbar, dass alle in Russland Verbliebenen immer vorsichtiger mit offener Kritik umgehen, bzw. sich offene Kritik zu äußern gar nicht mehr trauen.

Wir sind schon sehr gespannt auf die Einreichungen des Calls, der hier übrigens russische Künstler*innen nicht ausklammert, im Gegenteil! Klar ist aber auch, dass wir mit diesem Projekt keine Kriegsbefürworter*innen ansprechen und ebenfalls keine propagandistische Kunst im Call zulassen werden.

Wir haben uns entschlossen, nur mit individuellen Künstler*innen bzw. individuellen Kollektiven aus Russland zu kooperieren. Jewede Form der institutionellen Kooperation haben wir beendet oder bis auf Weiteres ruhend gestellt.

Be Water / Hong Kongers (HK), credit: vog.photo

Reden wir über den Status Quo, darüber, wie schwierig es ist, einen Call nicht nur in diesen Zeiten sondern quasi über ein Kriegsgeschehen zu machen. Wie unbeteiligt kann und muss man sein, wie positioniert man sich da und wie geht man mit Propaganda um?

Martin Honzik: Es ist grundsätzlich eine komplizierte Situation einen Call dieser Natur und Ausrichtung durchzuführen, wenn man selbst in einer Außenposition ist. Es ist schlicht außerhalb unserer Vorstellungskraft, was Krieg bedeutet, bewirkt und verändert und was der richtige Umgang mit traumatisierten Menschen ist, bzw. ob es überhaupt einen Umgang gibt, der generell und richtig ist. Und, es ist auch nicht absehbar, wie diese Möglichkeit, die wir bieten, überhaupt an- und wahr genommen wird bzw. ob sie jene adressiert, die wir ansprechen wollen.

Das einzig kontrollierbare in dieser Situation ist die eigene Intention zu handeln, die eigene Haltung und die eigenen Aktivitäten zu beeinflussen und den Versuch zu machen, mit der Kunst und Kultur die Rolle des Brückenbauers einzunehmen. Wir werden ganz sicher bereichert durch die Einreichungen und die dadurch entstehenden direkten Kontakte, aber ganz sicher auch durch die vielen Fehler, die wir selber begehen werden und die Missverständnisse, die wir verursachen und denen wir begegnen werden.

Future from the past: imaginations on the margins / Center for Urban History of East-Central Europe, Lviv, Ukraine (UA), Screening film in a village, photo: Bohdan

Reden wir über ein anderes aktuelles Beispiel. Bei ESERO Austria, dem “European Space Education Resource Office“, das seit 2016 in Kooperation zwischen der Europäischen Weltraumagentur (ESA) und nationalen Partnern in Österreich von der Ars Electronica betrieben wird, stellen wir immer wieder Art & Space Projekte vor. Auch hier begegnen wir genau dieser kuratorischen Problematik, kannst du das kurz erklären?

Martin Honzik: Genau, aus gegebenem Anlass hätten wir gerne eine ukrainische Gruppe in der Reihe dieser Art & Space Projekte vorgestellt. Mit Noosphere haben wir auch ein schönes Projekt gefunden. Jetzt ist es so, dass die Gruppe mittlerweile NFTs verkauft und den Erlös der ukrainischen Armee zur Verfügung stellen möchte. Wie geht eine Kulturinstitution mit der paradoxen Situation um, plötzlich indirekt an der Finanzierung eines Krieges beteiligt zu sein? Wir werden dieses Projekt im Übrigen unterstützen und wir werden uns in ähnlichen Situationen wiederfinden, die alle für sich neu betrachtet und verhandelt werden müssen. Das zeigt, in welcher komplexen Gegenwart wir leben, wie schwierig es ist, diese zu bewerten und daraus das richtige zu schließen und es zeigt vor allem auch, dass sich Krieg über alles kulturell gängige und etablierte hinwegsetzt und sich die bewertbaren Grenzen zwischen Gut und Böse auflösen.

Wie Gerfried Stocker bereits bei der Vorstellung unseres Festival-Themas gesagt hat, kann die Kunst einen Raum bieten, in dem Widersprüchlichkeit möglich sein kann, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Ein Raum, der sich neutral der Widersprüchlichkeit annimmt, sie nicht ausblendet, sondern in den Mittelpunkt rückt, sie seziert, zerlegt und offenlegt, ohne zu richten und ohne zu werten. Kunst und Kultur, der ja auch die Widersprüchlichkeit inne liegt, kann so ein Angebot an die Gesellschaft darstellen, ein soziales Laboratorium in der die Realität simuliert werden kann und in der man sich unter anderen Umständen wieder begegnet und sich dabei erproben kann.

„Can you hear me?“/ Mathias Jud, Christoph Wachter

Wie genau schaut dann das Kuratieren aus, wie kann sie sich an solche veränderten Bedingungen anpassen? Und wie kann ich das im Ausstellungskontext darstellen?

Martin Honzik: Das Auswahlverfahren bei einem Kunstpreis folgt üblicherweise der Logik einer mündigen Fachjury und einem Kriterienkatalog, der sich im jeweiligen Genre der Kunst relativ klar deklarieren und formulieren lässt. Wir führen diesen Call das erste Mal durch und wissen daher noch nicht, welcher Natur die eingereichten Arbeiten sind und wie sich diese untereinander unterscheiden oder gleichen. Eine Bewertung wird erst dann möglich sein, wenn wir uns ein Bild sämtlicher Einreichungen machen konnten. Sicher werden wir einen Weg finden, der Inhalt und Form bewertbar und vergleichbar machen kann. Wichtig wird aber auch sicher sein, zu verstehen aus und in welcher Situation die Einreichung bzw. das Kunstwerk entstanden ist. Durch die globale Fragestellung des Calls werden es nicht ausschließlich Künstler*innen sein, die aus Kriegs- bzw Krisengebieten heraus ihr Kunst kreiert haben, sondern es werden höchstwahrscheinlich auch Künstler*innen einreichen, die grundsätzlich zum Thema etwas zu sagen haben, jedoch nicht zwingend aus Krisengebieten kommen. Diese zwei grundlegend verschiedenen Perspektiven vergleichbar zu machen, wird sicher ein Teil der Herausforderung für die Jury sein.

Wichtig wird auch sein, wie bereits erwähnt, Einreichungen mit propagandistischem Hintergrund vorab auszufiltern. Ist dieser Prozess getan, wird es darum gehen, die ausgewählten Arbeiten mit Raum und Vermittlung auszustatten. Im konkreten Fall werden die Arbeiten in einem virtuellen Raum ausgestellt und zugänglich gemacht. Das dient dazu, die Werke auch noch über den eher kurzen Festivalzeitraum von 7. bis 11. September hinaus zugänglich zu machen und auch an die Grundvision des Internets zu erinnern – ein Ort, der demokratisch über nationale Grenzen hinweg Menschen dazu dienen kann, sich dort offen und sicher ausdrücken zu können. Im Übrigen wird das, verglichen zu den beiden Jahren davor, beim diesjährigen Festival der einzige Programmpunkt sein, der ausschließlich online stattfindet.

Syrian Archive

Was haben Künstler*innen davon, beim Call mitzumachen, was ist unser Angebot an sie?

Martin Honzik: Wir streben eine möglichst nachhaltige Förderung anstelle einer einmaligen Gewinnausschüttung an. Das heißt, wir stellen ein Honorar zur Verfügung, wir kümmern uns um den Transport bzw. Die Anreise und die Unterbringung zum Festival. Wir wollen den Einreicher*innen die Möglichkeit einer Fortführung ihres künstlerischen Weges, ihrer Karriere anbieten, sie international präsent haben. Das beinhaltet die Beteiligung beim Festival, das als Präsentationsbühne fungiert, die Zugänglichkeit der virtuellen Ausstellungsräume über das Festival hinaus ebenso wie die Kooperation mit dem Ministerium, um die Reise der einreichenden und ausgewählten Künstler*innen weiterhin zu gewährleisten.

Abschließend wird dieser Programmteil ein zentraler Teil des Festivals sein. Die virtuellen Räume werden von überall zugänglich und dieser Zugang recht niederschwellig sein. Beim Festival werden die Räume durch die 4dBox – eine holographische Installation – präsentiert. Um diese Präsentation herum wird es online und on-site Diskussionsformate geben.

Kannst du vielleicht ein paar Beispielprojekte nennen, welche Projekte in etwa gesucht werden?

Martin Honzik: Grundsätzlich gibt es viele Arbeiten aus dem Pool des Prix Ars Electronica, die sich bereits mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt haben. Was wir erwarten dürfen bleibt aber weiterhin spannend. Ganz sicher wird sich unser üblicher Rahmen – die Medienkunst – massiv erweitern. Es sind sämtlich künstlerische Ausdrucksweisen erwünscht. Das kann von Street-Art über Literatur bis hin zu den klassischen Kunst-Disziplinen reichen.

Die Bewertungskriterien werden allerdings nicht die des Prix Ars Electronica sein. Es ist davon auszugehen, dass Extremsituationen wie diese, extreme Ausdrucksweisen und alternative Formen der Kunst hervorbringen. Es wird ein Unterschied sein, ob jemand aus einer sicheren Situation heraus etwas reflektiert und zum Ausdruck bringt, oder ob jemand direkt aus einem Kriegsgebiet, aus einem Krisengebiet versucht, sich auszudrücken.

Be Water / Hong Kongers (HK)

Martin Honzik ist Künstler, CCO und Leiter des Bereichs Festival/Prix/Exhibitions bei Ars Electronica Linz. Er absolvierte das Studium für visuelle, experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz (Abschluss 2001) wie auch den Master Lehrgang für Kultur- und Medienmanagement der Johannes Kepler Universität Linz und ICCM Salzburg (Abschluss 2003). Neben der Realisierung zahlreicher Kunstprojekte als freischaufelnder Künstler war er von 1998 bis 2001 Teil des Produktionsteams im OK Offenes Kulturhaus im OÖ Kulturquartier und wechselte 2001 zum Ars Electronica Future Lab, wo er bis 2005 in den Bereichen Ausstellungsdesign, Kunst am Bau, Interfacedesign, Eventdesign und Projektmanagement tätig war. Seit 2006 ist Martin Honzik Managing Direktor des Ars Electronica Festivals, des Prix Ars Electronica wie auch der Ars Electronica Center Ausstellungen und der internationalen Ausstellungsprojekte der Ars Electronica. Dazu repräsentiert er seit 2021 als Chief Curatorial Officer das Unternehmen.

Der State of the ART(ist) Call läuft noch bis zum 3. Juli 2022 (erweiterter Einreichschluss). Detail zur Einreichung, zur Ausstellung und zu der Kooperation findet ihr hier. Die ausgewählten Arbeiten werden dann im Rahmen des Ars Electronica Festival 2022 präsentiert.

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