Der Prix Ars Electronica in der Kategorie u19—create your world wollte immer schon wissen, mit welchen Themen sich die Jugendlichen beschäftigen, welche Visionen sie haben und wie sie das Ganze in der Form von Kunstwerken zum Ausdruck bringen. Dass diese Themen nicht immer positiver Natur sind, zeigt das Gewinner*innenprojekt der Kategorie „u19 – create your world“ von Linzer Künstlerin Mary Maryhofer. Eine schwarze Decke unter der sich ein scheinbar regloser Körper befindet, auf ihr ein Gedicht in Großbuchstaben verfasst. Das Gedicht entstand an einem emotionalen Tiefpunkt und handelt von Lethargie, Erschöpfung und Isolation. Mit dem Projekt „Die Schwarze Decke“ beschäftigt sich Mary Mayrhofer stark mit dem Thema „psychosoziale Gesundheit“ und zeigt die Schattenseiten einer Generation, die in den letzten Jahren komplett weggebrochen ist. Im Interview erzählt uns die Künstlerin mehr über die Geschichte hinter dem Projekt.
Many kids are not, in fact, alright, and if we want to again look to the future with confidence, we must become active right now in order to provide help. We as a society cannot give young people the feeling that it will be up to them alone to sort out this mess when it is finally their turn to run things. We all must work together in solidarity to ensure a brighter future. – Jury Statement
Wie sah der Entstehungsprozess aus?
Mary Mayrhofer: Angefangen hat alles mit einem Gedicht mit gleichnamigen Titel, welches am 10. 04.2021 um etwa 03:00 morgens entstand. Zu der Zeit war ich mental an einem ziemlichen Tiefpunkt und hatte eigentlich gar nicht vor, mit dem Gedicht zu arbeiten oder daraus ein Projekt entstehen zu lassen. Ehrlich gesagt hätte das Gedicht beinahe einem Abschiedsbrief beigelegen, da es aus einem Zustand tiefschwarzer Leere entstand und ich das Gefühl hatte, dass es mir damit ziemlich gut gelungen war, zu erklären, wie ich mich gefühlt habe. Allerdings ging ich noch im Sommer 2021 in eine Reha und habe auch sonst das letzte Jahr viel daran gearbeitet, meine Depression in den Griff zu bekommen. Mich mit meinem Inneren zu befassen und es künstlerisch zu bearbeiten, hat dabei definitiv eine tragende Rolle gespielt. Erst durch den „Blick nach Innen“ kam die Idee, meine Depression nicht nur durch Worte, sondern auch visuell darzustellen. Das Textilprojekt entstand ab ca. November 2021 an der HBLA für künstlerische Gestaltung als Maturaprojekt im Rahmen meiner Diplomarbeit zum Thema „Kunst und Krankheit“. Während dem Arbeiten und durch den Austausch mit meiner Professorin kam dann auch die Idee, eine Serie aus 5 Polaroid-Bildern hinzuzufügen, um zu unterstreichen, dass Depression sehr divers ist und sich in alle erdenklichen Lebenssituationen und Menschen einschleichen kann. Kunst ist für mich Therapie, oder kann es zumindest sein, weshalb ich es fast ein wenig ironisch finde, dass mir die Arbeit an meinem Projekt als Symbol für Depression so gutgetan hat.
Warum hast du dich für die Decke als gestalterisches Stilmittel entschieden?
Mary Mayrhofer: Eines der bedrückendsten Symptome der Depression ist für mich das „nicht aufstehen können“; man kann sich das vielleicht gar nicht so vorstellen, aber in meinen schlimmsten Phasen hatte ich Tage, an denen läutete der Wecker und ich war zu leer, zu geistig müde, um aufzustehen – ganz egal, ob es für die Schule, meine Hobbys oder einen Zoobesuch mit Freunden war. Eigentlich sollte das eigene Bett etwas Wohliges oder Gemütliches haben, aber für mich hat es sich oft angefühlt wie ein Gefängnis. Depression sorgt allerdings nicht dafür, dass das Bett außerordentlich bequem wird. Sie macht es nur manchmal zum einzig erträglichen Ort, weil es überall sonst auf der ganzen Welt viel zu anstrengend ist. Das finde ich sehr spannend, da es sehr konträr zu meiner Kindheit steht, als ich mir immer die Decke über den Kopf gezogen habe, wenn ich Angst hatte. Die Decke soll also in meiner Arbeit nicht nur Decke sein, sondern auch eine dünne, enge Hülle, die einen vom Genuss des Lebens abkapselt.
Wie siehst du die Rolle von Kunst als Kommunikationsmittel?
Mary Mayrhofer: Oft ist das Schöne an Kunst nicht nur das, was man hineinsteckt – sondern das, was man davon herausbekommt. Wenn die nächsten Jahre nach Plan laufen und ich der Zukunft, die ich mir momentan so vorstelle, nachgehe, möchte ich Kunsttherapeutin werden. Ich bin absolut überzeugt davon, dass es viele Wege gibt, um über kreative Prozesse etwas nach außen zu tragen oder sich mit sich selbst zu konfrontieren. Manchmal sprechen Bilder wirklich mehr als 1000 Worte – vor allem bei Dingen, die zu schwer zum Aussprechen sind. Ich glaube zwar nicht, dass alle Menschen mit Kunst oder kreativem Arbeiten etwas anfangen können, aber für mich persönlich macht sie es einfacher, anderen mein Inneres preis zu geben.
Welche Botschaft möchtest du mit deinem Kunstwerk anderen Menschen mitgeben?
Mary Mayrhofer: Ich möchte allen Betroffenen ein Gefühl von Repräsentation geben, da ich selbst gemerkt habe, dass es immer noch ein unangenehmes Stigma um mentale Krankheiten gibt. Durch die Tatsache, dass man weder Alter, Herkunft noch Geschlecht der Person unter der Decke erahnen kann, soll suggeriert werden, dass jeder oder jede darunter liegen könnte. Diese Wirkung soll außerdem von den Polaroids unterstrichen werden, denn Depression kann jede Sorte Mensch betreffen. Da ich schon seit meinem 11. Lebensjahr mit der Diagnose hadere, habe ich oft zu hören bekommen, dass Depression nur eine Phase oder eine hormonbedingte Zusatzerscheinung der Pubertät sei. Mittlerweile weiß ich aber, dass das nicht stimmt. Am liebsten wäre mir, jemand schaut sich mein Projekt an und fühlt sich ein bisschen weniger alleine mit diesem erdrückendem Gefühl. Außerdem möchte ich mit meiner Arbeit allen Künstler*innen, Eltern, Freund*innen, Geschwistern und Fremden, die an dieser Krankheit leiden oder bereits an ihr zugrunde gegangen sind, gedenken.
Die schwarze Decke umhüllt einen Menschen,
Aber der Mensch ist nicht mehr da.
Der Stoff ist fest geworden,
Hat sich versteift und ist erstarrt,
Als sich die Existenz in Nebel auflöste.
Der Mensch ist schon weg,
Vielleicht seinen Gedanken entflohen,
Oder den Grund der Donau erforschen.
Die schwarze Decke hat bereits Tränen aufgesogen
Und Gebete mitgehört.
Sie hat Schreie gedämpft
Und sich mit Blutflecken geziert.
Die schwarze Decke
Wie die letzte Ruhestätte einer Mumie,
Wie ein Sarg für jene, die noch leben.
Als letzte Erinnerung an alle,
Die zu müde waren,
um sich am Ende des Tages
einfach wieder hinzulegen
Mary Mayrhofer (*2002) wohnt derzeit noch in Linz, möchte aber eigentlich die ganze Welt bereisen. Sie hat an der HBLA für künstlerische Gestaltung maturiert, möchte nun Kunsttherapeutin werden und somit ihre beiden größten Interessen – Menschen und Kunst – verbinden. In allen Bereichen ihres Lebens steht Ausdruck an erster Stelle, was auch der Grund ist, warum sie sich in ihren Arbeiten mit ihrem eigenen Inneren befasst. Obwohl sie immer wieder neue Materialien und Techniken aufgreift, hat sie sich hauptsächlich in dem Medium Collage und der Stilrichtung Dadaismus gefunden. Daran schätzt sie vor allem die Freiheit, alles auseinanderzunehmen und neu zusammenzufügen, sowie alle Normen und Konventionen zu zerstören.