Diskussionen über Wahrheit in einer digitalisierten Welt

, Martina Mara at Humanizing AI, Midlife Crisis of the Digital Revolution, POSTCITY, credits: Philipp Greindl

Wem gehört die Wahrheit? – diese Frage steht am Anfang des Ars Electronica Festival 2023. Und sie wirft zahlreiche weitere auf: Was ist überhaupt Wahrheit? Wer bestimmt Wahrheit? Wie gehen wir mit Wahrheit um? Klare Antworten auf diese Fragen zu finden, ist schwierig, fast unmöglich. Und doch ist es vor allem in einer Zeit, in der Informationen online verbreitet werden, KI-Systeme sich rasant etablieren und die Grenze zwischen Wahr und Falsch zunehmend verschwimmt, essenziell, sich über die Wahrheit und ihre Bedeutung für unsere Welt, unsere Zukunft, Gedanken zu machen. Genau hier setzen nicht nur zahlreiche Projekte, sondern vor allem auch die Konferenzen während des Ars Electronica Festival an. Und wer weiß, vielleicht können wir an den Festivaltagen gemeinsam einige Fragen beantworten. Sicher sind Besucher*innen auf jeden Fall neue Perspektiven, innovative Ideen und inspirierende Ansätze.

Education Day

Die Basis jeder Wahrheitssuche – ob im Alltag oder in der Forschung – ist Bildung. Nur wenn wir uns weiterbilden, können wir versuchen, mit dem rasanten Tempo der Veränderungen in allen Lebensbereichen mitzuhalten. Aus diesem Grund steht der erste Festivaltag, Mittwoch 06.09.2023, unter dem Motto Education. Das Symposium Perspektiven Politische Bildung, eine Kooperation der Arbeiterkammer OÖ, der Pädagogischen Hochschule OÖ und Ars Electronica, fasst heuer unter dem Titel Kleber. Unüberwindbare Konflikte oder sozialer Zusammenhalt die Reaktion vor allem junger Menschen auf die gesellschaftliche und politische Situation auf – Apathie und Fatalismus oder Protest und Provokation? Diskutiert wird die komplexe Aufgabenverteilung in den Bereichen klimapolitische Entwicklungen, digitale Bildung und neue gesellschaftliche Partizipationsstrukturen. Das Programm spannt sich über Keynotes von Barbara Blaha und Knut Cordsen über Workshops, Podiumsdiskussionen und Vorträgen bis hin zur Präsentation eines Projekts junger Menschen zum Thema des Symposiums.

Außerdem markiert der erste Konferenztag den Startpunkt einer neuen Universität: des Institute of Digital Sciences Austria (IDSA). Inspiriert von einer gemeinsamen Keynote von Studierenden der IDSA x Ars Electronica FOUNDING LAB Summer School werden Fellows, Studierende und Expert*innen mit der Gründungsrektorin und dem Gründungskonvent des IDSA über Visionen für die neue Universität diskutieren. Unter den Sprecher*innen finden sich beispielsweise die Fellows Vladan Joler, Gründer der SHARE Foundation und bereits bekannt durch sein Werk Anatomy of an AI System, und Ö1-Journalistin Sarah Kriesche sowie Ross Parry, Professor für Museumstechnologie an der Universität von Leicester, der von der Education Foundation als einer der fünfzig einflussreichsten Personen in den Bereichen Bildung und Technologie in Großbritannien angeführt wurde.

S+T+ARTS Day

Erst mit dem nötigen Wissen können wir in Folge innovativ werden. Am Donnerstag, dem S+T+Arts Day, wird Innovation – vor allem die wegweisende Allianz zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst – in den Mittelpunkt gerückt. Das Themensymposium, das uns die nächsten drei Festivaltage begleiten wird und unterschiedliche kritische Ansätze für die Beziehung zwischen Wahrheit und Deutungshoheit beleuchtet, steht an diesem Tag unter dem Titel The Next Renaissance. Während die Beschleunigung technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen häufig zu widersprüchlichen Werten und Prioritäten führt, will die S+T+Arts-Konferenz sich mit der Möglichkeit eines Paradigmenwechsels und einer verantwortungsvollen Innovationsstruktur auseinandersetzen. In Zusammenarbeit mit EUMETA, CultTech Association und dem EIT Culture & Creativity bringt das Programm Persönlichkeiten wie Frederike Kaltheuner, Leiterin des European AI Fund, Deb Roy, Leiter des MIT Center for Constructive Communication sowie Gastprofessor an der Harvard Law School, Bernd Fesel, Chief Executive Officer von EIT Culture & Creativity, Hito Steyerl, deutsche Filmemacherin und Autorin, die als erste Frau die Power100-Liste als einflussreiche Akteurin des internationalen Kunstbetriebs anführte, und Journalistin und Datenwissenschaftlerin Karen Hao, die für ihre Berichterstattung über KI-Forschung bekannt ist und den Podcast In Machines We Trust co-produziert, zusammen. Gesprochen wird über Projekte, die ein Gleichgewicht zwischen Innovation und Datentransparenz- und Souveränität schaffen, die Rolle von KI bei Veränderungen des europäischen Rechts- und Geschäftsrahmen für den Kreativ- und Kultursektor sowie den Status quo europäischer KI-Strukturen.

Künstlerische Innovation wird auch im Rahmen der State of the ART(ist) Podiumsdiskussionen aufgegriffen. Im ersten Teil sprechen die ausgezeichneten Künstler*innen gemeinsam mit Jurorin Leila Nachawati Rego (ES/SY) und Christoph Thun-Hohenstein (AT), Sektionsleiter internationale Kulturangelegenheiten des österreichischen Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten, über künstlerische Freiheit, später wird der ökologische Kollaps und Kunst, als Möglichkeit, alternative Beziehungen zwischen menschlicher, natürlicher und technologischer Welt zu erforschen, mit Unterstützung von Jurorin Marita Muukkonen (FI) diskutiert. Abschließend gibt Klara Kostal von der österreichischen UNESCO Kommission eine Einführung in den UNESCO Defending Creative Voices Report. Mehr zu State of the ART(ist) kann in diesem Blog gelesen werden.

More-than-Planet Day

Durch Bildung und Innovation schweben uns nun Zukunftsvisionen zunehmend klarer vor. Neuerungen und Ideen sollten mit holistischem Denken umgesetzt werden, das uns nur als Teil des Ökosystems wahrnimmt, das es zu erhalten gilt. (Un)Earthing the Truth: Ownership and Narratives about the Planet, die Themenkonferenz der More-than-Planet Initiative am Samstag, greift genau diesen Gedanken auf. Kommerzielle Astronautin, Geologieprofessorin, Künstlerin, Autorin und Major in der Civil Air Patrol Sian Proctor, der kenianische Ökologe Mordecai Ogada, welcher sich mit Naturschutzpolitik und -praxis beschäftigt, Alexandra Daisy Ginsberg, deren Kunst bereits in Museen wie dem Centre Pompidou in Paris oder dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York ausgestellt wurde, Aina Abiodun, Gründerin im Bereich Klima-Technologie und erste schwarze Frau, die ein risikokapitalfinanziertes Technologieunternehmen in Deutschland leitete, und zahlreiche weitere Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Forscher*innen und Ökonom*innen diskutieren über die Wahrheit als wirtschaftliches Objekt. Dabei wird eine Parallele zwischen Eigentum an der Natur und Natur des Eigentums gezogen und ein Gleichgewicht zwischen Marktideologien und Umwelt anvisiert.

credit Gregor Tatschl

Dare-the-Truth Day

Wenn wir die Zukunft, die Wahrheit nun vor Augen zu haben scheinen, fehlt noch ein Schritt: Wir müssen diese akzeptieren. Dare-the-Truth-Day heißt der Samstag des Ars Electronica Festival 2023 und mit der Themenkonferenz unter dem Motto End of Truth? liegt der Fokus auf den Auswirkungen von KI auf Demokratie und Informationsnetze. Verschleiern Fake News und Deep Fakes den Zugang zur Wahrheit? Und wie beeinflusst das unser öffentliches Verhältnis zur Wahrheit? Teil der Diskussion am letzten Tag des Themensymposiums, unterstützt durch den European Digital Deal, sind unter anderem Sarah E. Kreps, eine amerikanische Politikwissenschaftlerin, Veteranin der United States Air Force und Mitglied des Council on Foreign Relations, Forscherin und Schriftstellerin Nina Jankowicz, die zum Beispiel über die russische Verwendung von Desinformation als geopolitische Strategie schrieb, und die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang. Wer ausprobieren will, wie beispielsweise eine Text-zu-Bild Software funktioniert, kann außerdem dem Prompt Battle, veranstaltet von Florian A. Schmidt (DE) und Sebastian Schmieg (DE), Professoren der HTW Dresden, einen Besuch abstatten. Gewinner*in wird, wer dem Programm die überraschendsten, verstörendsten oder schönsten Bilder entlockt.

credit Jürgen Grünwald

Prix Ars Electronica Day

Über all dem und am Ende des Festivals steht die Kunst als Möglichkeit, Gedanken, Ideen und Gefühle auszudrücken – von Hoffnung bis Angst, heute und in Zukunft. Der Sonntag ist wie in vergangenen Jahren der Prix Ars Electronica Day. Das Prix Forum beginnt bereits am Samstag mit der Kategorie New Animation Art und bringt Künstler*innen, die im Awards eine Goldene Nica oder eine Anerkennung erhalten haben zusammen, um über ihre Arbeiten, ihre Motivation und die künstlerische Praxis im Kontext kontemporärer Herausforderungen. In der Kategorie New Animation Art sind Ayoung Kim (KR), Gewinnerin der Goldenen Nica für Delivery Dancer’s Sphere, Bassam Issa (IE) von IT’S DANGEROUS TO GO ALONE! TAKE THIS und SANGHEE (KR) von Oneroom-Babel vertreten. Am Sonntag folgt der Bereich Artificial Intelligence & Life Art mit Winnie Soon (HK/UK), Gewinnerin der Goldenen Nica für Unerasable Characters Series, Adam Brown (US) von Shadows from the Walls of Death, sowie Oron Catts (AU) und Steve Berrick (AU) vom 3SDC-Projekt (Sunlight, Soil & Shit (De)Cycle). Zuletzt werden im Rahmen von Digital Musics & Sound Art Juan Cortés (CO) von Atractor Estudio, Gewinner der Goldenen Nica für A Tale of Two Seeds: Sound and Silence in Latin America’s Andean Plains, Alba Triana (CO) von Harmonic Motion und Julia Jasmin Rommel (DE) von zwischenraum-interspace-acoustic cartography sprechen.

Anschließend kommen Persönlichkeiten aus verschiedenen Fachbereichen, Ländern und mit unterschiedlichen Erfahrungen bei Re-build Together: Digital, human and arts-driven innovation in Africa zusammen. In diesem Gespräch wird die Rolle digitaler, menschlicher und kunstgetriebener Innovation in Afrika erörtert, um die Möglichkeit einer Neugestaltung der Entwicklung unserer Länder und Kontinente zu thematisieren. Versucht wird, Bereiche für eine verstärkte und gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika zu identifizieren, und alle Besucher*innen sind eingeladen, sich ebenfalls an der Diskussion zu beteiligen.

Mehr zu den Highlights des Ars Electronica Festival 2023 findest Du hier. Details werden laufend am Blog und auf der offiziellen Festivalwebsite veröffentlicht.

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