Ricercar; image: Ali Nikrang

Ricercar

Interaktives KI-Kompositionssystem

Was bedeutet es, gemeinsam mit einer Maschine zu komponieren? Welche Formen musikalischer Autorschaft entstehen, wenn generative Systeme nicht mehr nur als Werkzeuge funktionieren, sondern sich aktiv in künstlerische Prozesse einschalten? Ricercar ist eine Forschungssoftware, die genau an dieser Nahtstelle zwischen menschlich-künstlerischer Intuition und maschineller Autonomie ansetzt – nicht um diese Spannung aufzulösen, sondern um sie künstlerisch zu nutzen. 

Initiiert 2019 am Ars Electronica Futurelab von Ali Nikrang und seit 2023 in enger Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München weiterentwickelt, versteht sich Ricercar nicht als bloße Anwendung, sondern als Experimentierfeld. Der Name selbst – „Ricercar“ – verweist auf eine musikalische Praxis der Renaissance: das Suchen, das Erkunden eines musikalischen Themas als eine Komposition der Suche. Diese Haltung prägt auch die technische und konzeptuelle Gestaltung des Systems. Im Zentrum des Projekts steht die künstlerische und methodische Erforschung jener Grenzbereiche, in denen generative KI-Systeme nicht lediglich als Werkzeuge fungieren, sondern als gleichberechtigte Partner im explorativen Prozess verstanden werden. 

Hosts Ali Nikrang und Susanne Kiesenhofer (links) demonstrieren die neueste Version von Ricercar, photo: Martin Hieslmair
Ricercar; image: Ali Nikrang

Ricercar basiert auf symbolischer Musikrepräsentation (Noten in MIDI-Form) und wurde auf einem Korpus gemeinfreier klassischer Werke trainiert. Die Daten wurden dabei gezielt abstrahiert, um strukturelle Aspekte musikalischer Logik in den Vordergrund zu rücken – mit dem Ziel, dem System ein fundamentales Verständnis der trainierten Musik zu vermitteln, losgelöst von instrumentaltechnischen oder notationsspezifischen Elementen. Diese Abstraktion ist bewusst gewählt: Ricercar strebt nicht nach klanglicher Simulation, sondern nach einer systematischen Auseinandersetzung mit musikalischen Entscheidungsprozessen. 

Die Interaktion mit Ricercar erfolgt über verschiedene Ebenen: musikalische Präfixe, stilistische Inspirationen, zeitbasierte Parameterverläufe oder – in forschungsorientierten Anwendungen – direkte Eingriffe in das Systemverhalten. Der kreative Output entsteht dabei nicht als automatisiertes Produkt, sondern als Ergebnis einer kontinuierlichen, offenen Auseinandersetzung mit dem System, mit klarer Autorschaft bei Menschen. 

Ricercar wird in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten eingesetzt, die einen kritischen, forschungsgeleiteten Umgang mit KI-Technologien verfolgen. Die Software bzw. ihre Ergebnisse wurden u.a. bei der Biennale Musica in Venedig (Absolute Hallucination, 2024), im Misalignment Museum in San Francisco (2023), im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (2023) und im Deutschen Museum Bonn (Ausstellung Mission KI, seit 2022) präsentiert. 

KI-Kompositionen des Ars Electronica Futurelab, gespielt vom Georgischen Kammerorchester und einem selbstspielenden Klavier; photo: Stephan Feichter
Präsentation von „Absolute Hallucination: An AI Self-Playing Piano Improvisation“ an der Biennale Musica 2024 in Venedig; photo: Ali Nikrang

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Zusammenarbeit mit jungen Komponist*innen. Beispielsweise im Rahmen des Konzertprojekts Continue.Music (2024) – einer Kooperation zwischen der Hochschule für Musik und Theater München, den Münchner Philharmonikern und der Brainlab AG: Hier entwickelten Kompositionsstudierende neue Werke, die im Oktober 2024 uraufgeführt wurden. Ricercar wurde dabei nicht als bloßes Werkzeug eingesetzt, sondern als eigenständiger Teil künstlerischer Konzepte – ein System, das kompositorisches Denken mitprägte, herausforderte und mitgestaltete. 

Weitere Aufführungen von Werken, die in Verbindung mit Ricercar entstanden sind, fanden bzw. finden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Orchestern statt – darunter das Georgische Kammerorchester Ingolstadt (Auftakt zum Ingolstädter Wissenschaftskongress, Juni 2022), das Bruckner Orchester Linz (Walzersymphonie, Sept/Nov 2025) und das Münchner Rundfunkorchester (Multiverse Symphony, Juni 2025) – jeweils im Austausch mit unterschiedlichen Komponist*innen, Interpret*innen und künstlerischen Positionen. 

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Ricercar als Teil des Projekts SonoSynthesis während der Night Performances am Futurelab Day 2022

Als Forschungsinstrument leistet Ricercar einen Beitrag zur Entwicklung neuer methodischer Perspektiven auf die Rolle von KI in künstlerischen Prozessen. Es macht deutlich, dass generative Systeme nicht ausschließlich unter technischen Gesichtspunkten betrachtet werden dürfen, sondern als kulturelle Agenten agieren – Systeme, die nicht nur produzieren, sondern auch künstlerische Räume eröffnen und mitgestalten sollen. 

Im akademischen Kontext schafft Ricercar einen offenen Denkraum und ermöglicht wissenschaftlich-künstlerische Studien: Welche Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine sind im Bereich der Kunst produktiv? Welche epistemischen Modelle prägen diese Interaktionen? Und wie verändern generative Technologien unser Verständnis von Kreativität, Autorschaft und künstlerischer Verantwortung? 

Lesen Sie mehr über Ricercar in Interviews mit Ali Nikrang am Ars Electronica Blog:

Verbundene Arbeiten:

Credits

Ars Electronica Futurelab: Ali Nikrang, Susanne Kiesenhofer

PARTNER: HMTM – Hochschule für Musik und Theater München (University of Music and Theatre Munich) 

Ricercar ist ein Gewinnerprojekt der 2020 Ars Electronica Futurelab Ideas Expedition