The Future Is Coded

The Future is Coded, Fanny Zaman
The Future is Coded, Fanny Zaman, Credit: Fanny Zaman

Mit „Artists in Resonance“ nimmt sich ein Residency-Konzept im Ars Electronica Futurelab dieser besonderen Herausforderung an, welches kein neues Programm, sondern vielmehr eine veränderte Haltung zu erfolgreichem Austausch repräsentiert. Diese lässt eine Residency auch ohne den physischen Aufenthalt vor Ort nicht zum Widerspruch werden – vielleicht hat nur ein Terminus, für eine gewisse Zeit lang jedenfalls, ausgedient. Darauf, dass es im Laufe des Jahres doch noch möglich sein wird, Fanny Zaman auch vorort in Linz willkommen zu heißen, freuen sich alle Mitglieder des Teams dennoch sehr. Im Rahmen eines Visionsmemorandums zur digitalen Transformation im kulturellen Sektor wurde von Seiten des Flämischen Ministeriums für Kunst und Kultur bereits 2018 damit begonnen, ein neues, innovatives Residency-Programm zu entwickeln. Das erklärte Ziel: Experimente und Innovationen sollen in einer aufgeschlossenen und visionären Umgebung vorangetrieben werden. Neben Empac in New York und dem Media Lab in Prado hatte dabei die Kooperation mit dem Ars Electronica Futurelab in Linz oberste Priorität. Die Institutionen engagieren sich auf sehr unterschiedlichen Gebieten und dennoch haben sie eines gemeinsam: Sie entwickeln Visionen und Innovationen an der Grenze zwischen Technologie, Kunst und den wichtigen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft.

„In gewisser Weise ist es immer Resonanz, die wir anstreben. Resonanz im Sinne von ‚etwas im Gegenüber zum Schwingen zu bringen’. Sei es durch die Zusammenarbeit aus der Ferne oder indem wir Seite an Seite die Köpfe zusammenstecken, um gemeinsam Ideen zu entwickeln und Erfahrungen zu machen – mit gemeinsamen Erlebnissen, die Resonanz erzeugen, Erfahrungen, die uns in Erinnerung bleiben und eine Wirkung haben und die Zeit einer Residency überdauern.“ – Maria Pfeifer

Neben Fanny Zaman, deren umfangreicher Fokus nicht nur auf Visual Art, Cultural Studies, und Information Science, sondern auch auf Performance and Sound Design liegt, haben sich auch noch eine Reihe anderer interessanter und engagierter Künstler*innen um die Residency am Ars Electronica Futurelab beworben. Wie hat die vielseitige Medienkünstlerin die Jury von sich überzeugt?

Maria Pfeifer: In der Ausschreibung für Residencies zusammen mit dem flämischen Ministerium für Jugend, Kultur und Medien haben wir nach Künstler*innen gesucht, die in allen Bereichen der Medien- und interaktiven Kunst, der künstlerischen Forschung und anderen Kunstrichtungen arbeiten, einen Bezug zu den digitalen Künsten haben und sich mit Fragen zu unserer Zukunft und deren Gestaltung beschäftigen. Wir haben nach innovativen Ideen und Projekten gesucht, die „out of the box“ treten und sich in das unbekannte Territorium der digitalen Systeme wagen, die wir Menschen geschaffen haben: Konzepte, die eine künstlerische Herangehensweise nutzen, um über die eigenen Gartenmauern zu schauen, um festzustellen, was möglich ist und um die Grenzen zu überwinden.

Fanny Zaman hat einen umfangreichen theoretischen Hintergrund und ihr prozessorientierter Ansatz hat uns einfach fasziniert. Wir freuen uns auf die Interaktion und Zusammenarbeit – sei es auf der Ebene der Unterstützung mit technologischem Know-How in Bezug auf unsere Erfahrung mit VR oder die fortlaufende künstlerischen Reflexion, z.B. im Zusammenhang mit Storytelling der Zukunft. Es war ihre offene Einstellung zum Begriff der Kooperation und ihre aufgeschlossene Herangehensweise an Future Thinking, die sie von den anderen Bewerber*innen deutlich unterschied, welche uns sehr konkrete Konzepte präsentierten. Fanny’s umfangreiches Spektrum an Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks, aber auch ihr theoretischer Hintergrund hat uns letzten Endes vollkommen überzeugt. Die Fragen, mit denen sie sich beschäftigt, sind jenen Fragen sehr ähnlich, die auch wir im Ars Electronica Futurelab uns immer wieder stellen.

Was hat dich dazu bewogen, dich für die Artist Residency am Ars Electronica Futurelab zu bewerben und deinen Arbeitsplatz – wenn es die Corona Situation zulässt – aus Antwerpen nach Linz zu verlegen?

Fanny Zaman: In Flandern gibt es kaum Institutionen, die an einem interdisziplinären Ansatz zwischen Kunst, Technik und Wissenschaft arbeiten. Das liegt vor allem daran, dass unser Bildungssystem nicht interdisziplinär ist – das System besteht aus voneinander getrennten Institutionen. Zusätzlich zu oder deshalb gibt es auch eine wachsende Kluft zwischen den Geschlechtern: MINT für die Jungen und Kunst für die Mädchen, das ist in den letzten zwanzig Jahren passiert. Innerhalb dieses geteilten und trennenden Bildungssystems ist es nicht möglich, das Hardcore-Kunststudium mit dem Hardcore-Technikstudium und dem Hardcore-Theoriestudium zu verbinden. Und auch nach dem Studium bleiben beide Welten zu oft voneinander getrennt. Kunst ist dort wo die Mädchen sind und dort werden die Finanzierungen derzeit gekürzt, während MINT – dort wo die Jungen sind – das Ziel aller Investitionen ist. Alles dazwischen, jener Bereich zwischen den Stereotypen, ist im Moment eine große Wüste. Doch Kürzungen im Bereich der Geisteswissenschaften sind nicht nur ein flämischer, sondern auch ein internationaler Trend.

Wenn man interdisziplinär arbeiten will, muss man sich an unterschiedliche Schulen ausbilden lassen. Ich habe vier Jahre an einer Kunsthochschule verbracht, die auf einer sehr praktischen Ebene angesiedelt ist. Dort habe ich meinen Master gemacht. Danach habe ich ein Jahr Medienwissenschaften und ein Jahr Informationswissenschaften studiert – beides an der Universität und auf einer theoretischen Basis. Danach habe ich eine zweijährige Pädagogikausbildung absolviert, um die Befähigung zu erlangen, mein Fach zu unterrichten. Anschließend daran habe ich ein sehr praxisbezogenes Jahr in der Spieleentwicklung an einer technischen Schule verbracht. Zusammengerechnet sind das neun Jahre Studium – nur, um zu Basiswissen zu kommen. Ich leide immer noch unter einem Impostor-Syndrom, vor allem durch den Mangel an Kontakt zu Gleichaltrigen und zu Vorbildern.

Das flämische Ministerium für Kunst und Kultur hat damit begonnen, ein interdisziplinäres Residency-Programm für Digital Culture außerhalb Flanderns zu entwickeln, um den Bedarf zu decken. Das ist bereits ein guter Anfang.

Kannst du uns mehr zu dem Projekt erzählen, an dem du im Rahmen der Residency arbeitest?

Fanny Zaman: Das Projekt, das ich für das Ars Electronica Futurelab eingereicht habe, trägt den Titel „The Future Is Coded“. Ich dachte, dass er zu einem Zukunftslabor passt.

Ich bin fasziniert von dem Phänomen – vielleicht auch der Besessenheit von Menschen –, die Zukunft zu prognostizieren. Von alten, analogen und weit verbreiteten Wahrsagetechniken, die normalerweise im Bereich der Folklore angesiedelt sind, bis hin zu zeitgenössischen digitalen Technologien im Finanzwesen, in der Industrie und in der Politik.

In meiner Forschung habe ich gewisse Korrelationen zwischen analogen Techniken und digitalen Technologien zur Vorhersage zukünftiger Ereignisse und oder Verhaltensweisen entdeckt. Für beide Ansätzen werden Medien oder Vermittler*innen verwendet, um Ereignisse der Veränderung zu fixieren oder zu verarbeiten. Um das fixierte Medium zu interpretieren – das können Teeblätter in einer Tasse sein oder das Ergebnis eines Würfelwurfs – verwenden wir Indizes (um Richtlinien zu setzen) und Apophenia (um Kohärenz zu schaffen). Apophänie ist die natürliche Fähigkeit unseres Gehirns, aus unzusammenhängenden Teilen der Realität Geschichten zu projizieren und zu erzählen.

„The Future Is Coded“ macht darauf aufmerksam, dass wir unsere Fähigkeit der Apophänie nutzen, um über die Zukunft zu spekulieren, indem wir nicht zusammenhängende Teile und mehrdeutiges Material verwenden. Nicht über unsere Zukunft zu spekulieren, würde diesen Zukunftsraum verschlossen lassen; ihn zu entriegeln bedeutet, einen Code zu knacken. Über unsere Sinne aufgenommen sammeln sich Datenströme aus der Welt um uns herum im Pool unseres Nicht-Bewusstseins. Der Schlüssel zum Knacken des Codes muss dort irgendwo liegen, versteckt im unbewussten Speicher unseres Gehirns.

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In welchem Kontext ist dieses – in der Kunst häufig zitierte – Gesetz der Wahrnehmung an der Schnittstelle zwischen Technologie und Wissenschaft für dich interessant?

Fanny Zaman: Shoshana Zuboff hat in „The Age of Surveillance Capitalism“ darüber geschrieben, wie Big Data-Unternehmen unser zukünftiges Verhalten vorhersagen. Ein großer Teil des Wertes für diese Unternehmen liegt in dem, was Zuboff „Restdaten“ nennt. Die Restdaten, die wir durch unser Online-Verhalten produzieren, haben einen viel höheren Vorhersagewert als ein Selfie, das wir bewusst posten. Der Algorithmus sucht nach Korrelationen in den Restdaten unseres Online-Verhaltens. Diese könnten festhalten, wie lange oder wie schnell wir klicken, welche Klick-Muster sich aus aufeinanderfolgenden Sitzungen ergeben und vieles mehr. Algorithmisches Profiling führt dazu, dass der „Algorithmus uns besser kennt als wir uns selbst“ (siehe dazu auch Yuval Noah Harari ’s Homo Deus). Mit Hilfe von Algorithmen werden unsere Restdaten vermessen. Aber sie werden nicht zu unserem Vorteil genutzt. Die Ergebnisse, die „Maps“, werden ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung an Dritte verkauft.

Werden diese Daten-Maps im Mittelpunkt deiner Forschung im Ars Electronica Futurelab stehen?

Fanny Zaman: Wie die Maps von den Big Five (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) generiert werden, ist nicht öffentlich bekannt. Im Ars Electronica Futurelab werden wir in kleinen Testsettings selbst Datenanalyse und algorithmisches Profiling betreiben. Wir werden die Daten zueinander in Beziehung setzen und durch Apophenia, der menschlichen Fähigkeit Profile zu erstellen, vergleichen. Wir werden dies in kleinen Teams von Teilnehmer*innen aus dem Ars Electronica Futurelab reflektieren.

Verrätst du uns auch schon ein paar Ideen, in welche Richtung deine Arbeit in diesem Zusammenhang führen könnte?

Fanny Zaman: Meine Absicht ist es, eine dreidimensionale VR-Umgebung zu schaffen, die Elemente des Profilings benutzt. Der*die Spieler*in wird mit dem eigenen, sich entwickelnden Profil konfrontiert, das dadurch entsteht, dass er*sie sich innerhalb der virtuellen Umgebung bewegt und dort Zeit verbringt. Die Benutzer*innen werden mit der so entstehenden Map konfrontiert und eingeladen, diese zusammen mit einem virtuellen Guide oder dem*der Erzähler*in zu reflektieren.

Ich freue mich darauf, meine Pläne mit dem Team des Ars Electronica Futurelabs zu diskutieren. Da ich jetzt alleine zu Hause in Belgien arbeiten muss, haben wir uns noch nicht getroffen – dennoch vermisse ich es schon jetzt.

Fanny Zaman (BE) ist eine in Antwerpen arbeitende Medienkünstlerin. Sie hat sowohl eine praktische als auch eine theoretische Ausbildung in Bildender Kunst, Kulturwissenschaften, Informationswissenschaften, Performance und Sound Design. 2000 begann sie an der Hochschule für Bildende Künste (HISK) mit Video- und Sound-Montagen zu experimentieren. Mit einer Residenz an der Cité des Arts, Paris beschloss sie diese Phase. Im Jahr 2008 drehte sie den Film Surface, der im Wettbewerb des FIDMarseille gezeigt wurde. Danach folgten drei weitere Essayfilme über die Welt der Finanzen/Märkte mit dem Fokus auf Gruppendynamik im Pit und Sprechakt. Die Filme wurden von VAF (Filmlab) unterstützt, als Hybridfilm und/oder Expanded Cinema gekennzeichnet und auf mehreren Filmfestivals (als Einzelvorführung) und in Kunstinstitutionen (als Installation) gezeigt, darunter BOZAR, LE BAL und WIELS, wo sie 2012 einen sechsmonatigen Aufenthalt absolvierte. Der Fokus ihrer künstlerischen Forschung liegt darauf, wie Material (Ton, Bild und Technologie) von uns geformt wird und wie diese Formbarkeit unser politisches Verständnis der Welt umgestaltet. Zaman hat in Zusammenarbeit mit Dominik Daggelinckx den Film THE AIRSHIP gedreht, der sich mit den kollateralen Auswirkungen von sozialen Medien und Technologie durch Ästhetik und Materialität befasst. Der Aspekt der sozialen Auswirkungen von Technologie auf unsere Ökologie und Realität zieht sich wie ein roter Faden durch Zaman’s Arbeit. Texte über ihr Werk wurden von Arnaud Claass, Jean-Pierre Rehm und Mihnea Mircan veröffentlicht.

Maria Pfeifer ist Key Researcher für Future Narratives und geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, wie Geschichten über die Zukunkt das Hier und Jetzt verändern können. Weitere thematische Interessen liegen in Art Thinking, kunstinspirierter Innovation und der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft. Sie studierte Kunst, Komparatistik und Kulturwissenschaften in Wien und arbeitet seit 2011 mit Unterbrechungen für das Ars Electronica Festival und Futurelab. Ihr besonderes Interesse gilt den möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen von Zukunftstechnologien – wie künstliche Intelligenz, automatisiertes Fahren, virtuelle Realität – über deren direkte Anwendungsbereiche hinaus. Forschungsprojekte, an denen sie beteiligt war, umfassen Themen wie Arbeit der Zukunft, ethische KI, automatisierte Umgebungen, Future Skills, spekulatives Design & künstlerische Strategien in der Zukunftsforschung.

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