Am CERN müssen uns KünstlerInnen mit Ideen herausfordern

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Mit Unterstützung des European Digital Art and Science Network starteten Ars Electronica und CERN am 30. April einen gemeinsamen Open Call. Nachdem die chilenische Künstlerin María Ignacia Edwards beim ersten Open Call des “Art & Science” Netzwerkes für eine Residency bei der ESO in Chile ausgewählt wurde, gefolgt von einer Residency am Ars Electronica Futurelab, bietet der zweite Open Call KünstlerInnen die Möglichkeit, sich um den Collide@CERN Ars Electronica Award und damit um eine achtwöchige Residency am CERN und einen daran anschließenden Aufenthalt im Ars Electronica Futurelab zu bewerben. Einreichungen werden noch bis 23. Juni 2015 unter https://ars.electronica.art/artandscience/de entgegengenommen.

Arts@CERN ist das künstlerische Programm von CERN und soll kreative Verbindungen zwischen der Welt der Wissenschaft, der Kunst und der Technik hervorbringen. Als Teil der im August 2010 unterzeichneten Kulturpolitik von CERN wurde im Jahr 2011 das renommierte „Collide@CERN Residency Programm“ ins Leben gerufen. Dieses Programm blickt heute auf eine vier-jährige Erfolgsbilanz zurück, im Rahmen welcher transdisziplinäre, künstlerische Qualität etabliert, sowie der Austausch zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen gefördert wurde. Leiterin von Arts@CERN ist Monica Bello. Im Interview verrät sie uns, was zwei augenscheinlich so gegensätzliche Disziplinen, wie Kunst und Physik, gemeinsam haben und was die KünstlerInnen während ihrer Residency im CERN erwartet.

Monica, durch deinen Lebenslauf sieht man, dass du eine Menge Know-how in den Bereichen Kunst und Wissenschaft hast. Siehst du dich eher als Künstlerin oder als Wissenschaftlerin? Was interessiert dich daran, diese beiden Bereiche miteinander zu kombinieren?

Monica Bello: Ich habe eigentlich Kunstgeschichte studiert und bin Kuratorin für Medienkunstprojekte. Als Kunsthistorikerin interessiere ich mich sehr für die neuesten Trends der künstlerischen Praxis und als Kuratorin habe ich die Möglichkeit meine Forschungsarbeit praktisch anzuwenden. Seit Beginn meiner Karriere finde ich aber jene Kunstprojekte am spannendsten, bei denen Kunst mit anderen Disziplinen kombiniert wird und hier vor allem jene, die mit technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt arbeiten.

Ich habe mich nie als Künstlerin oder Wissenschaftlerin gesehen, aber ich versuche einen Dialog zwischen diesen beiden Disziplinen herzustellen. Mein Interesse besteht darin, zu erkunden, wie die Kreativität das Bindeglied zwischen Kunst und Wissenschaft sein kann und wie dadurch die Grenzen zwischen diesen beiden Disziplinen verschwimmen.

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Der Large Hadron Collider (Credit: CERN)

Warum hat sich CERN, eine der führenden europäischen Forschungseinrichtungen, dazu entschieden mit Ars Electronica zusammenzuarbeiten?

Monica Bello: CERN ist ein einzigartiger Ort, an dem die neuesten Erkenntnisse über unser Universum gewonnen werden. Hier forschen und arbeiten tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure. Es ist der Geburtsort großer Entdeckungen, durch die unsere Weltanschauung über die Natur nachhaltig verändert wurde. Auch bahnbrechende technische Entwicklungen haben hier ihren Ursprung, wie der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger oder das World Wide Web. Diese Leistungen können nur durch internationale Zusammenarbeiten erreicht werden. Als CERN die Kulturpolitik „Großartige Kunst für großartige Wissenschaften“ festlegte, war klar, dass CERN Kollaborationen mit jenen Kunstpartnern eingehen wird, die die gleichen Ziele verfolgen, nämlich innovative Wege zu finden, um Technik und Kreativität miteinander zu verbinden. Deshalb ist die Ars Electronica der perfekte Partner, weil sie, genau wie wir, versucht die Beziehungen zwischen verschiedenen Disziplinen zu verstehen und mögliche neue Argumente und Ideen durch diese Verbindungen für Kunst und Gesellschaft aufzuwerfen. Die Kollaboration zwischen CERN und Ars Electronica bietet, durch die Gründung des Collide@CERN Ars Electronica Award, eine einzigartige und aufregende Möglichkeit, unser Know-how in Wissenschaft, Technologie und Kunst miteinander zu verbinden.

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Künstlerische Darstellung einer hochenergetischen Kollision in einem Teilchendetektor (Credit: CERN)

Für einen Laien sieht es aus, als wären Physik und Kunst völlig unterschiedliche Disziplinen: Physikerinnen und Physiker arbeiten eher strikt mit mathematischen Formeln und künstlerische Arbeit ist frei und kreativ. Wie können Physikerinnen und Physiker mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten?

Monica Bello: Trotz der vielen Unterschiede, glaube ich, dass sie mehr gemeinsam haben, als so mancher glaubt. Diese Gemeinsamkeiten zu ergründen ist eine der Herausforderungen bei Arts@CERN. Wir wissen, dass sich Physikerinnen und Physiker mit abstrakten Ideen befassen, die sie in Experimenten, Modellen und Simulationen testen. In künstlerischen Arbeiten finden wir oft sehr ähnliche Prozesse. Die künstlerische Praxis beginnt bei der Erforschung eines breiten Spektrums abstrakter Konzepte, die zu neuen Ideen und Fragestellungen führen können. Durch diese Form des künstlerischen Experimentierens können neue Entdeckungen über die Eigenschaften von Materialien, von Reaktionsverhalten oder von der Umwelt gemacht werden. Als Ergebnis sehen wir, dass man in beiden Bereichen – sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Kunst – mit abstrakten Ideen arbeitet und diese aber auf unterschiedliche Weise diskutiert. Es ist ein ständiges in Frage stellen der Eigenschaften der Natur und der Grenzen des Wissens. Um es zu vereinfachen: sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, als auch Künstlerinnen und Künstler arbeiten mit Ideen und Hypothesen, die ihr Verständnis und ihre Modelle der Welt um sie herum reflektieren. Indem sie diese hinterfragen, bringen sie wiederum neue Erkenntnisse und Modelle hervor.

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(Credit: CERN)

Was, denkst du, sind die größten Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Künstlerinnen und Künstler?

Monica Bello: Die größte Herausforderung könnte sein, eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Kommunikation zu finden. Obwohl bei beiden der Arbeitsprozess, mit denen sich Künstlerinnen und Künstler und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen, sehr ähnlich ist, kann die Beschreibung oder Benennung von Dingen sehr unterschiedlich sein. Erst wenn sie wissen, wovon der jeweils andere spricht und sie verstehen, dass sie eigentlich vom gleichen sprechen, können konstruktive Gespräche geführt werden.

Bei der Residency geht es hauptsächlich darum, dass Künstlerinnen und Künstler von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern inspiriert werden. Ist es auch möglich, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Arbeit von den Künstlerinnen und Künstlern inspiriert werden?

Monica Bello: Man kann schon sagen, dass auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Arbeit von dieser Zusammenarbeit profitieren. Es ergeben sich Vorteile auf beiden Seiten. Wir wollen die künstlerischen Experimente weiter vorantreiben, indem wir sie mit der praktischen Physik verknüpfen, aber am Ende des Tages kann man feststellen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenfalls positiv davon beeinflusst werden. Wenn man erst einmal akzeptiert, dass Kunst und Wissenschaft, beides kulturelle Aktivitäten sind, dann verstehet man auch, wie sich beide gegenseitig inspirieren und voneinander profitieren. Künstlerinnen und Künstler sind extrem gut darin, Fragen in die unterschiedlichsten Richtungen zu stellen und neue Methoden für die Kontextualisierung und Integration neuer Erkenntnisse zu finden. Daraus ergibt sich ein großer potenzieller Nutzen, wenn Künstlerinnen und Künstler beginnen diese Vorstellungen in wissenschaftliche Prozesse zu integrieren.

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ALICE (A Large Ion Collider Experiment) – Teil des LHC (Credit: CERN)

Muss sich der Gewinner oder die Gewinnerin des Open Calls irgendwie speziell für die Residency am CERN vorbereiten?

Monica Bello: Es ist nicht notwendig, dass sich die Künstlerin oder der Künstler speziell vorbereitet. Die Kriterien für die Teilnahme an der Residency sind bereits klar definiert. Wir haben genau festgelegt, welche Art von Einreichungen, aus welchen Bereichen, wir uns wünschen. Wir haben versucht, deutlich zu machen, dass der Künstler oder die Künstlerin nicht zu CERN kommt, um Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin zu werden, aber sie werden beobachten, erforschen und untersuchen, wie die Forschung mit Hochenergiephysik funktioniert, um sich davon in ihrer Arbeit inspirieren zu lassen.

Noch bevor die eigentliche Residency beginnt, wird es eine Art Einführungswoche geben. Während dieser Woche wird die Gewinnerin oder der Gewinner viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treffen und viel Zeit mit uns am CERN verbringen, um die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Forschungsrichtungen kennenzulernen. Während dieser Woche versuchen wir auch herauszufinden, welche Interessen der Gewinner oder die Gewinnerin hat und wie wir die Zusammenarbeit am besten gestalten können. In dieser Zeit bekommt der Gewinner oder die Gewinnerin auch einen sogenannten „Inspirationspartner“ zugewiesen, ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin, der oder die den Künstler oder die Künstlerin während seiner oder ihrer Residency begleiten wird. Diese Anfangsphase ist eigentlich die einzige Vorbereitungsphase, die der Künstler oder die Künstlerin braucht.

Wie wird der Arbeitsplatz des Künstlers oder der Künstlerin während der Residency aussehen?

Monica Bello: Das ist eine gute Frage! Der Künstler oder die Künstlerin wird sowohl ein Büro haben, als auch Zugang zur Bibliothek und zu vielen anderen Einrichtungen. Wir wollen aber eigentlich nicht, dass der Künstler oder die Künstlerin zu viel Zeit in den Büroräumlichkeiten verbringt, weil es am CERN wichtig ist, sich mit Leuten zu treffen, sich mit ihnen zu unterhalten, zu Experimenten zu gehen und den Researchern über die Schulter zu blicken. Es geht darum zu beobachten und mit den tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Community aus der ganzen Welt in Kontakt zu treten, die am CERN arbeiten. Obwohl einige Teile der Anlage am CERN aus unterschiedlichen Gründen für den Künstler oder die Künstlerin tabu sind, wollen wir, dass der Künstler oder die Künstlerin das gesamte CERN als Arbeitsplatz sieht.

Du wirst auch ein Mitglied in der Jury sein, die den Gewinner oder die Gewinnerin des Open Calls, küren. Worauf wirst du bei den eingereichten Arbeiten besonders achten?

Monica Bello: Immer, wenn ich Teil einer Jurysitzung bin, versuche ich mich vorher so gut wie möglich mit den Einreichungskriterien auseinanderzusetzen und mir zu überlegen, wie die Arbeiten aussehen könnten, die passend zu diesen Kriterien eingereicht werden. Ich bin dann jedes Mal wieder überrascht, welche tollen Ideen die Künstlerinnen und Künstler haben. Das ist aber auch wichtig! Ich bin der Meinung, dass uns die Künstlerinnen und Künstler mit Ideen herausfordern müssen. Sie sollten nicht versuchen, ihre Kunst an den Call anzupassen, sie sollten über die Kriterien hinausblicken! Das ist es, worum es geht: sich selbst mit neuen Ideen herauszufordern, außerhalb der eigenen Komfortzone zu arbeiten und das auch überzeugend vorzutragen. Darauf werde ich achten.

Monica Bello ist unabhängige Kuratorin und Kunstkritikerin mit weitreichender Expertise im Bereich Kunst und Wissenschaft. Mit März 2015 hat sie die Leitung von Arts@CERN übernommen, dem interdisziplinär-künstlerischen Programm von CERN (Genf), welches kreative Verbindungen zwischen der Welt der Wissenschaft, der Kunst und der Technologie hervorbringen soll. Zwischen 2000 und 2015 war Mónica Bello die künstlerische Leiterin von VIDA, einem internationalen Wettbewerb für Kunst und künstlichem Leben, welcher von der Fundacion Telefonica gegründet wurde. Zuvor war sie als Leiterin der künstlerischen Vermittlung bei LABoral Centro de Arte in Gijón, Spanien tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit initiierte sie das umfassende Programm zum Thema experimentelles Lernen sowie viele weitere Kooperationen zwischen Kunst und Wissenschaft. Außerdem rief sie verschiedenste Initiativen im Themenbereich Kunst und Wissenschaft ins Leben wie zum Beispiel das Capsula or Res-Qualia in Barcelona oder das Biorama in Huddersfield/Großbritannien. Zur Zeit ist sie zudem Teil des Kuratorenteams Transitio_MX06, eines der rennomiertesten Festivals für digitale Kunst in Mexico. Sie ist regelmäßig Mitglied diverser Gremien und Jurys im Bereich Kunst und Wissenschaft und ist auch in Netzwerken der zeitgenössischen Kunst und Wissenschaft sehr aktiv. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der experimentellen Kunst und neuen kulturellen Praktiken.

Nähere Infos finden Sie unter: https://ars.electronica.art/artandscience/de/

Einreichungen werden noch bis 23. Juni 2015 entgegengenommen!

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