Nicole Grüneis: „Wir möchten ‚Bildungspartner in Crime‘ sein“

WEB_schulklasse, School Classes at the Ars Electronica Center, Credit: Ars Electronica / Martin Hieslmair

Mit Start des neuen Schuljahres beginnen auch im Ars Electronica Center eine Reihe neuer Workshops, Führungen und Programme speziell für Schulklassen aller Altersstufen. Kinder können sich dabei mit Tardi, dem Bärtierchen, auf eine mikroskopische Reise durch den Mikrokosmos begeben, mit Robotik experimentieren oder ihren eigenen Ding Dong Song erstellen. Nicole Grüneis, Leiterin der Bildungs- und Kulturvermittlungsabteilung des Ars Electronica Center, hat uns mehr über den außerschulischen Vermittlungsauftrag, das Erstellen von Programmen für Schulen und warum sich die Ars Electronica als „Bildungspartner in Crime“ versteht, erzählt.

Künstliche Intelligenz, Internet of Things, Biotechnologie: Kann unser Bildungssystem mit diesen rasch voranschreitenden technologischen Veränderungen mithalten?

Nicole Grüneis: Ich glaube, dass unser Bildungssystem die Veränderungen unserer Gesellschaft durch Technologie, durch technologische Veränderungen, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, nicht schnell genug aufgreift. Wir wissen, dass die Schule, das Schulsystem an sich, ein rigides Konstrukt ist, das Schwierigkeiten dabei hat, Neues in den Unterricht zu implementieren. Darum ist es wichtig als außerschulische Institution Programm- und Vermittlungsangebote anzubieten, weil wir als außerschulischer Lernort viel schneller, viel dynamischer reagieren können, weil wir eher auf neue Entwicklungen eingehen können, weil wir schneller Expertisen einholen und vor allem aufbauen können, besser vernetzt sind. Für mich liegt die Möglichkeit, dieses rigide Schulsystem auszugleichen, ganz stark in den Kulturinstitutionen als außerschulischen Lernorten.

Machine Learning Studio, Credit: Ars Electronica / Robert Bauernhansl

Wie funktioniert Vermittlung im Museum, kannst du das zum Beispiel anhand des Kinderforschungslabors erklären?

Nicole Grüneis: Das Kinderforschungslabor gibt es seit fünf Jahren und ist eine Reflexion aller Themen in unserem Haus. Wir versuchen dort Installationen oder Arbeiten zu haben, die in die anderen Räumlichkeiten, in die anderen Ausstellungen referenzieren. Es steht aber immer in einem Zwiegespräch mit der aktuellen Ausstellung. Im Moment ist das die Ausstellung „Mirages & miracles“, in der es um augmentierte Realität geht. Der Ansatz hierbei ist, Technologie dafür zu nutzen, Unsichtbares sichtbar, oder zumindest begreifbar, zu machen.

Eine Schlüsselinstallation ist die KI-Installation „Animaker“ von Tagtool, eine Referenz zur Understanding AI-Ausstellung. Man überträgt materielle Dinge ins digitale und macht damit eine neue Welt im Digitalen sichtbar.

Eine weitere wichtige Installation zu diesem Zweck ist nonvisual-art von Lisa Buttinger, die 2017 sowohl die Goldene Nica des Prix Ars Electronica in der Kategorie „u19 – CREATE YOUR WORLD“ und eine Anerkennung des STARTS Prize bekommen hat. Auch hier kann man mittels Polarisations-Folien eine neue Ebene sichtbar machen. Ein weißes, monochromes Bild wird so plötzlich ganz bunt und ich kann Neues entdecken.

Animaker, Credit: vog.photo

Weiter hinten gibt es noch unsere „bemooste, grüne Ecke“, in der ein Mikroskop vor einer Mooswand steht. Der Bereich steht in Korrespondenz mit unserem Kinderbuch „Da ist Tardi!“. Hier möchten wir mit den Vergrößerungstechnologien des Mikroskops den Mikrokosmos sichtbar machen. Das ist ein Kontrapunkt zum anderen Bereich des Kinderforschungslabors, wo man eine digitale, eine künstliche Welt erschaffen kann: Hier kann ich die natürliche Welt, die permanent besteht, aber mir trotzdem nie sichtbar ist, betrachten. Dieser natürliche Mikrokosmos ist so fantastisch und großartig, hier werden die wunderbarsten Lebewesen sichtbar. Bei der KI-Station habe ich zum Beispiel einen lila Elefanten entstehen lassen, der auf einem Ball balanciert – das ist das eine. Aber hinten, im zweiten Bereich, im Bereich der Mooswand, schaue ich mir Lebewesen an, die kein Science-Fiction-Autor oder -Autorin besser erfinden könnte, als es die Natur kann. Hier sprechen wir auch über das Bärtierchen, das zu einer Art Maskottchen für uns geworden ist. Das versuchen wird dort zu entdecken. Bärtierchen haben Superkräfte, denn sie können alle möglichen Extremsituationen überleben. Nebenbei ist es ein äußerst sympathischer, tapsiger Charakter. Wir versuchen ihn mit Hilfe der Kinder im Moos zu finden, das ist uns auch bereits einmal gelungen.

„Diese Stationen gemeinsam stellen eine Verschmelzung unserer natürlichen mit unserer künstlichen Umgebung dar, die dort als selbstverständlich verhandelt wird. In diesem Selbstverständnis werden Natur und Kunst/Kultur untrennbar und dadurch gleichwertig erfahren und auch diskutiert.“

Wenn wir KI versuchen zu vermitteln, zu vermitteln was Künstliche Intelligenz, was Computer, was eine Maschine ist, greifen wir immer auf diese naturalistischen Parallelen zurück. Wir vergleichen in Teilen der Ausstellung Sensoren mit Sinnen, denn über dieses natürliche System Lebewesen, das der Mensch ja auch ist, kann man ein gutes Verständnis dafür bekommen, was Maschinen sein können. Wir benennen ja auch die Maschine nach Attributen, die wir eigentlich nur Lebewesen zuordnen. Intelligenz zum Beispiel ist etwas, das nur Lebewesen betrifft. Dass Maschinen träumen können, auch der Begriff der Sensoren, hat seinen Ursprung in einem biologischen Organismus.

In einer Zeit, in der alles Wissen digital bereits verfügbar ist, warum sollte man dann noch real, analog, ein Museum besuchen? Welchen Mehrwert bietet ein Museumsbesuch, aber auch ein Schulbesuch noch?

Nicole Grüneis: Es geht um die Kuration, die sinnvolle Verknüpfung, die Reihenfolge, den Rahmen, den ich vorgebe. Das ist wichtig, um ein Verständnis zu entwickeln. Andererseits haben wir in Mitteleuropa nahezu uneingeschränkten Zugang zu Wissen. Wir bekommen alles serviert. Warum reicht das nicht? Das führt mich wiederum zurück zur Definition von Intelligenz. Intelligenz sind nicht nur Daten und Fakten, die ich in mein neuronales System einspeise. Intelligenz ist Körpererfahrung, ist ein mich im Raum zu anderen Objekten und Subjekten zu erfahren und zu verhalten, ein gegenseitiger Austausch. Was wir als Wissen betiteln ist viel mehr, als nur Fakten zu lernen.  Selbst die Erfahrungen machen ist ein essentieller Punkt in der eigenen Entwicklung, auch hier im Museum. Wir möchten diese direkte Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Technologien ermöglichen- ich spreche hier auch gerne von: ein Berührungswissen initiieren. Der Hands-On-Ansatz, Menschen in Erfahrungssituationen zu bringen, ist essentiell, wenn man Technologievermittlung betreiben möchte. Das Berührunsgwissen, bei dem ich meinen ganzen Körper, meine Sinne einsetze, um Verknüpfungen herzustellen, bleibt hängen. An diesen im wahrsten Sinne des Wortes „begriffenen Erfahrungen“ richten wir uns als Museum permanent aus. Wir wollen Erfahrungsraum statt nur Wissensraum sein.

Machine Learning Studio, Credit: vog.photo

Welche neuen Angebote und Programme bietet die Ars Electronica speziell für Schulen? Kannst du ein paar besonders herausstreichen?

Nicole Grüneis: Wir haben unsere Vermittlungsangebots-Box durchgerüttelt, auf den Kopf gestellt und Platz gemacht für ganz neue Vermittlungsprogramme zu den aktuellen Ausstellungsthemen.

Ganz frisch und „ofenwarm“ können wir zum Beispiel Künstliche Intelligenz und auch Neuro-Bionik für VolksschülerInnen in unseren Workshops „Maschine 9xKlug“ und „Superhirn & Denkerstirn“ anbieten, während sich die älteren im Machine Learning Studio als MaschinentrainerInnen versuchen können. In „Welt nach Mass“ und „Flache Weltbilder“ besprechen wir das Anthropozän und Erdbeobachtungsstrategien und erschaffen mit Kindern und Jugendlichen neue Weltbilder nach ihren eigenen Vorstellungen. Auch die Ars Electronica Labs im 1. Untergeschoß bieten wunderbare Inhalte zum Angreifbarmachen: Im SecondBody und Material Lab können SchülerInnen ab der 5. Schulstufe im Workshop „Von Hardware bis Weichteil“ mit Soft Robotics herumexperimentieren oder ab der 7. Stufe einen Sprachassistenten hacken. Auch Biotechnologie bietet interessante Anknüpfungspunkte, so bringen wir im Workshop „PiPaPo-Zellen“ VolksschülerInnen das Thema der pluripotenten Stammzellen näher.

Selbstverständlich nutzen wir auch das Open Soundstudio in der AIxMusic Ausstellung: Im Workshop „Ding Dong“ erzeugen wir auf Nicht-Instrumenten, also auf allen möglichen Gegenständen, Klänge – also auf einem Ding wird ein Dong gemacht. Dieser Sound wird im Studio zu einer Melodie gemixt – ein Ding Dong Song entsteht!

Das ist nur ein Auszug aus unserem Vermittlungsprogramm. Selbstverständlich haben wir neben weiteren Workshops auch Themenführungen im Programmangebot.

Über das Schuljahr hinweg wird sich unser Konvolut an Vermittlungsformaten noch erweitern – Ideen gibt es so viele. Uns und unseren BesucherInnen wird gewiss nicht langweilig werden… dafür sorgen wir!

Material Lab, Credit: Ars Electronica / Robert Bauernhansl

Welche Entwicklung konntest du in deiner Zeit bei der Ars Electronica beobachten, kommen mehr BesucherInnen, wie wird das Vermittlungsangebot generell angenommen?

Nicole Grüneis: In meiner Zeit hier kann man beobachten, dass durchaus immer mehr BesucherInnen kommen. Das ist aber auch kritisch zu hinterfragen, die bloße Anzahl. Ja, es kommen immer mehr Gruppen, das ist unbestritten. Mein Wunsch wäre, dass die PädagogInnen das Center nicht nur zu Schulschluss als nette Aktivität benutzen, sondern das Center und unser Angebot an Vermittlungsprogrammen in ihr Curriculum integrieren. Dass sie uns auch als Lernort sehen, der ihnen unterm Jahr im Unterricht einen Mehrwert geben kann. Die Tendenz geht in diese Richtung. Teil unserer Arbeit ist es, die LehrerInnen so zu engagieren, so zu attraktivieren, dass sie unser Angebot sehen und uns als ihr „Bildungspartner in Crime“ annehmen, für Dinge, die sie mit ihrem Erfahrungs- und Wissensschatz nicht abdecken können. Nicht jede Pädagogin oder jeder Pädagoge ist eine KI-Expertin oder ein KI-Experte, eine Social-Media-Expertin oder ein Social-Media-Experte, eine Expertin oder ein Experte für Biotechnologie. Dazu sind wir da. Wir versuchen ein guter Kooperationspartner und somit Komplize für LehrerInnen zu sein.

Nicole Grüneis ist seit zehn Jahren bei der Ars Electronica tätig. Sie hat als Infotrainerin in der aktiven Vermittlungsarbeit begonnen, wo sie das Wesen dieses Berufs spüren und erfahren konnte. Nicole hat Psychologie und Kunst studiert. Seit fünf Jahren leitet sie die Bildungs- und Kulturvermittlungsabteilung des Ars Electronica Center, wo sie für die Entwicklung von Vermittlungsprogrammen wie Führungen oder Workshops sowie die Ausbildung der InfotrainerInnen, der KulturvermittlerInnen, zuständig ist.

Einen Überblick über unsere neuen Programme für Schulen sowie alle aktuellen Termine findest du hier

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