Doch natürlich ist uns klar, dass nicht jedes Vertrauen sich auszahlt und es ein mannigfach in die Mangel genommenes Gefühl werden kann, sei dies aus kommerziellen Interessen, emotionalen Abgründen oder in betrügerischer Absicht. Durchaus komplex also, die Sache mit dem Vertrauen.
Was aber geschieht, wenn dieses fragile Gefüge durch unbekannte Komponenten ins Wanken gerät? Wenn eine der Parteien nicht menschlich ist, sondern Maschine? Wenn statt eines Menschen ein Bot Fragen beantwortet, lasse ich mich darauf ein? Und wie verändern sich unsere erlernten sozialen Interaktionsmuster, wenn ein Part durch Maschinen ersetzt wird? Wir neigen dazu, dem Computer die Schuld zu geben, wenn was nicht funktioniert, geben technischen Geräten Namen und identifizieren uns mit unseren Avataren in Computerspielen. Paro, ein Assistenzroboter vom Aussehen einer Robbe, war jahrelang ein Besucher*innenmagnet im Ars Electronica Center. Selbstverständlich wusste jede*r, dass diese kuschelige, glupschäugige Robbe kein Lebewesen ist, streicheln wollte man es trotzdem.
Mit dem verstärkten Aufkommen künstlicher Intelligenz und immer breiter gesteckten Einsatzgebieten sind das alles berechtigte Gedanken. Datenschutz- und Überwachungsskandale, Machtmonopole von Tech-Giganten und profitorientierte Entscheidungen, die ethischen Ansprüchen zuwiderlaufen, bringen jedes noch so kompakt ausgebildete Urvertrauen in das Gute der Welt schon einmal ins Wanken.
Dieses komplexe Gefühlsgefüge, die verschwimmenden Grenzen zwischen on- und offline und wie flexibel (und vertrauensselig) der menschliche Geist tatsächlich ist – diesen grundlegenden Fragen widmet sich auch das Ars Electronica Festival 2021. In diesem Beitrag stellen wir euch Projekte vor, die sich damit von unterschiedlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen.
Der Garden Bukarest setzt dies auf sehr poetische Weise um und sammelt mit „Lost Interferences“ Gefühle über Verlust – seien dies Geschichten, Erfahrungen oder Emotionen, schriftlich, zeichnerisch, in Bildern, Video- und Audioclips oder in jedem anderen Medium. Diese werden mithilfe eines tiefen neuronalen Netzwerkalgorithmus als Klanginformation dargestellt und in einer (virtuellen) Performance mit dem Publikum gemeinsam gehört, um im Verlorenen einen Sinn zu finden und „durch einen digital verbundenen Körper ein kollektives Selbst zu erlangen“. Die telematische Kunst soll so unseren Körper-, Sinnes- und Bedeutungsverlust technologisch heilen…
Unter dem Titel „Artificial Reality – Virtual Intelligence” widmet sich der Garden Berlin der Frage nach der Veränderung der „objektiven“ Realität durch die digitale Transformation unserer Umwelt. Während einerseits Virtual-Reality- und Mixed-Reality-Technologien völlig neue Möglichkeiten eröffnen, wie unsere Umgebung wahrgenommen wird, nimmt uns andererseits eine globale Pandemie Handlungsspielraum und stört den Traum einer neuen, vollständig vernetzten Welt. Kulturräume und Bildungseinrichtungen waren monatelang geschlossen und haben den Bedarf an virtuellen Begegnungsstätten noch erhöht. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage nach Regeln und Teilnahmebedingungen in diesen Räumen.
Die Ausstellung „Artificial Reality – Virtual Intelligence” in Berlin zeigt studentische Projekte, die die Spannung zwischen objektiv wahrgenommenen Realitäten, ihren virtuellen Erweiterungen und ihrer gegenseitigen Befruchtung im Zeitalter der digitalen Transformation erforschen. Die Ausstellung lotet die Grenzen der menschlichen Kognition aus, indem sie die physisch erlebte Umgebung und eine gleichzeitig projizierte, minimal veränderte VR-Umgebung miteinander verknüpft, was zu einer Form der psychischen Dissonanz führt.
In „Paradigm Shift“ von Maria Bürger taucht das Publikum in eine virtuelle Welt ein und trifft auf einen omnipräsenten Sprachassistenten. Die künstliche Intelligenz scheint zunächst die Wünsche ihres Gegenübers zu erfüllen, entwickelt aber zusehends einen eigenen Willen und beginnt die Zuseher*innen zu manipulieren. Das Projekt entwickelt ein Szenario, in dem sich die Machtverhältnisse von Mensch zu Maschine verschieben und der Mensch zusehends die Kontrolle verliert.
„Lucid Dream“ von Elena Kunau und Mariya Yordanova entführt mittels Brain Computer Interface in eine virtuelle Traumsequenz, die die Besucher*innen auf einen Flug zum Mond einlädt. Die gesamte Interaktion findet über Gedanken statt – und diese können den Flug auch rascher wieder beenden als einem lieb ist.
Es können noch viele weitere Exponate bestaunt werden, die sich mit Zukunftstechnologien und neuen Medien beschäftigen. Sie alle entstanden im Fernstudium während der Covid19-Lockdowns. Darüber hinaus präsentiert der Garden Berlin am Freitag, 10. September ein hybride Rave-Nacht. Menschen aus aller Welt sind eingeladen, den RAVE SPACE, Berlins ersten virtuellen 3D-Club, zu besuchen. DJs werden Live-Sets auflegen und die Besucher*innen können entweder virtuell über die Web-Plattform ravespace.club oder persönlich in der Ausstellungshalle in Berlin (Reinbeckhallen) am Rave teilnehmen. Wo sonst sollte das stattfinden als in Berlin?
Das Linz Institute of Technology, also ganz genau das Robopsychology Lab, nennt seine interaktive Ausstellung „Demystify AI!“ – und der Name ist Programm. Mythen, Missverständnisse und diffuse Ängste bestimmen oft den Zugang von Laien zum großen Themenkomplex „Künstliche Intelligenz“. Um den Diskurs in eine konstruktivere Richtung zu bringen, präsentiert das LIT Robopsychology Lab in unterschiedlichen interaktiven Installationen maschinelle Lernsysteme, Sprachassistenten und aktuelle mediale Darstellungen von KI.
Im „AI Forest“, einem Indoor-Wald, verstecken sich jede Menge Pilze, deren Genießbarkeit mittels KI-App eruiert werden kann. Wie trifft die App die Entscheidung und wie schätzen wir als Menschen diese Entscheidung ein? In „Serum 13 – A VR Trust Game“ gilt es Aufgaben zu lösen, unterstützt von einem KI-Assistenten. Serum 13 macht die Zusammenarbeit mit entscheidungsunterstützenden Algorithmen erlebbar und regt den Dialog über menschliche Autonomie an. „Faces of AI“ präsentiert die Ergebnisse einer groß angelegten Bildanalyse über die Visualisierung von KI in der Öffentlichkeit, über Farbwahl und Realitätsnähe.
Ein Stückchen weiter, nämlich in Learning Center und Mensa, ist die diesjährige Themenausstellung unter dem Titel „Digital && Life“ zu finden. Hier findet eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen von Beziehung zwischen dem Digitalen und dem Leben statt, zwischen Technologie und Lebewesen, Technologie und einer Umgebung wie Wasser und sogar Technologie und Empowerment. Etwa, wenn die Technologie dazu beiträgt, das Innenleben von Big Tech, Big Data oder maschinellem Lernen zu verstehen, und die Nutzer*innen folglich befähigt, eine andere und möglicherweise gerechtere Verteilung zu fordern, vielleicht sogar für die Datenhoheit einzutreten. Dieses Empowerment lenkt gleichzeitig die Frage auf uns selbst zurück: Wie wird unser Leben in Zukunft nicht nur mit, sondern auch durch unsere Technologie aussehen.
Aus dem Kosmos des European ARTificial Intelligence Lab1 kommt dabei eine Arbeit, die eben diese Beziehungsmöglichkeiten zwischen Mensch und Maschine erforscht und es dabei etwas anders angeht. Sarah Petkus und Mark J. Koch gehen in „Moon Rabbit“ der Frage nach, ob ein Beziehungsaufbau von menschlichem und künstlichem Geist möglich ist. Die Künstler*innen möchten ihre digitalen Nachkommen verstehen, wenn es um Lernen und Entwicklung geht. Während diese also zu Individuen heranwachsen, die selbst bestimmen, was sie sehen, möchten die Forscher*innen Einblicke gewinnen, was es bedeutet, als künstliche Intelligenz Individualität zu erlangen.
In eine alternative Realität entführt „In Event of Moon Disaster“, das die Mondlandung mittels Deep Fake-Technologie neu inszeniert. Das Publikum nimmt in einem Wohnzimmer der 1960er-Jahre Platz und verfolgt die Berichterstattung auf einem alten Fernseher. Der Film reist vom Start bis zum Mond, wo etwas schrecklich schiefgeht und Neil Armstrong und Buzz Aldrin gestrandet sind, was Präsident Nixon dazu veranlasst, eine elegische Notstandsrede an eine trauernde Welt zu halten. „In Event of Moon Disaster“ lädt Sie in diese alternative Geschichte ein und fordert uns alle auf, darüber nachzudenken, wie neue Technologien die Wahrheit um uns herum verbiegen, umleiten und verschleiern können.
Die Installation „your unerasable text“ von Stefan Tiefengraber ist eine sinnbildliche Arbeit für die Unermesslichkeit des World Wide Web. Das Publikum wird zum Versenden einer Textnachricht aufgefordert, diese wird gestaltet, kurz angezeigt, auf Papier gedruckt und sofort geschreddert. Trotz der Inszenierung von sofortiger Vernichtung können die Daten an jedem Punkt gespeichert werden, von einem der Handys, dem Drucker, dem Computer. „your unerasable text“ zeigt damit, wie wenig Einfluss Nutzer*innen selbst auf den Umgang mit ihren Daten haben.
Nicht in der Themenausstellung, aber auch In Kepler’s Gardens ist „Crash me if you can“ zu finden – eine Recherche zu den Grenzen maschineller Wahrnehmung. KI wird zur Erkennung von Verkehrszeichen genutzt, um Lenker*innen zu informieren oder die Geschwindigkeit anzupassen. Doch wie sehr können wir diesen Systemen vertrauen? Das Publikum kann auf einer Autorennbahn testen, wo diese Grenzen zu finden sind.
Im Deep Space 8K des Ars Electronica Center kann Rachael (#rachaelisnotreal) bestaunt werden, eine Künstliche Intelligenz, erschaffen vom Künstler Matthias Winckelmann. Seit Mai 2020 kreiert Rachael täglich ein Kunstwerk und postet es auf Instagram. Ohne menschlichen Eingriff setzt die KI seither ihre Arbeit fort und hat so eine respektable Anzahl an Follower*innen gewonnen. Rachael ist so programmiert, dass sie Bildwerke erschafft, die den Geschmack von möglichste vielen Menschen trifft.
Unter dem Titel „Interface Cult“ zeigen die Studierenden der Kunstuni Linz ihre Arbeiten. „Ear to Ear“ von Anaïs Lossouarn ist eine Sammlung geheimer Geschichten, die sich hinter keramischen Ohren im Raum verbergen. Nähert man sich den Wänden, erklingen die Stimmen. Im „Beichtstuhl“ ist es möglich, eine eigene geheime Geschichte zu erzählen und zu den unzähligen anderen hinzuzufügen.
Mit “FUTUREFALSEPOSITIVE” greift Kristina Tica das Ritual des Kaffeesatzlesens auf. Unzählige Bilder trainieren einen Algorithmus, Objekte aus den zufälligen Formen zu erkennen. Der liest die türkische Kaffeetasse und produziert neue visuelle Erzählungen. Das Projekt greift die psychologischen Phänomene Pareidolie und Apophänie (die Tendenz, sinnvolle Verbindungen zwischen scheinbar unverbundenen Dingen wahrzunehmen) und konzentriert sich vor allem auf deren Absurdität.
„Infinite Nows“, die Ausstellung der Studierenden der ZHdK, erforscht das Miteinander, menschlich-sozial oder menschlich-nicht menschlich. In „Faketual Reality“ untersucht Paulina Zybinska das Verständnis von „fake“ und „real“ im Zusammenhang mit den wachsenden Möglichkeiten der synthetischen Medien. In der partizipatorischen und individualisierten Erfahrung begegnet das Publikum sich selbst mit einer verdrehten Version seiner eigenen Persona.
In der CyberArts-Ausstellung im OÖ Kulturquartier ist – neben 19 anderen Werken aus den Einreichungen des Prix Ars Electronica 2021 – die Goldene Nica der Kategorie „Artificial Intelligence & Life Art“ zu sehen. Das Forschungskollektiv Forensic Architecture macht in „Cloud Studies“ sichtbar, was sich sonst unserer Sinne entzieht, deshalb aber nicht weniger gefährlich ist – toxische Wolken. Seien dies Gase, die auf Bevölkerung und Vegetation abgeworfen werden, Emissionen, die auf Umweltverbrechen hinweisen oder andere, zunehmende Formen von Gewalt aus der Luft. Von weißem Phosphor, Chlor und Tränengas gegen die Bevölkerung über Herbizide wie Glyphosat aus der Luft, die Lebensgrundlagen zerstören, bis hin zu organisierter Brandstiftung bei groß angelegten Landrodungen eröffnet Forensic Architecture nicht nur ein düsteres Bild seitens der Macht, sondern vermittelt auch Hoffnung auf weitere kritische Untersuchungen und soziale Gerechtigkeit durch eine konstruktive Nutzung offener Daten.
Mehr über das Ars Electronica Festival könnt ihr laufend hier auf unserem Blog, auf der Website sowie auf unseren Social Media Kanälen – auf Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn nachlesen.
1 The European ARTificial Intelligence Lab is co-funded by the Creative Europe Programme of the European Union and the Austrian Federal Ministry for Arts, Culture, Civil Service and Sport.