Digital Democracy: Wie demokratisch ist das Internet?

, Extractivisms: Operations and Practices, credit: Trimex Collective

Demokratie bedeutet, so der griechische Ursprung des Wortes, dass die Macht vom Volk ausgeht. Dass das in der Realität oft nicht so ist, zeigt uns ein Blick auf die Agenden der Weltpolitik. Aber am Papier zumindest, da leben die meisten Staaten der Erde nach demokratischen Prinzipien. Unter E-Demokratie versteht man die Vereinfachung und Durchführung von Prozessen zur Information, Kommunikation und Transaktion innerhalb und zwischen Institutionen, der Legislative, Bürger*innen, Unternehmen und weiteren staatlichen Institutionen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Wie aber verhält es sich mit der „Regierungsform“ des Digitalen? Wer kontrolliert das Internet und wer bestimmt, was dort passiert? Sind es wir, die Nutzer*innen? Oder die Konzerne, die rein monetär größere Macht im Digitalen haben? Und wie sieht es in jenen Ländern aus, die auch außerhalb des Internets keine Anhänger des Demokratischen sind? Wie sieht es mit der Zugänglichkeit aus? Wer besitzt genügend digitale Kompetenzen, wer wird von der Nutzung ausgeschlossen und warum? Wollen wir diese Räume auch zur politischen Beteiligung nutzen und welchen Einfluss sollen oder dürfen Regierungen haben?

Wenn wir nicht nur das Digitale für die Demokratie verwenden wollen, sondern das Internet, das Digitale, auch demokratisieren möchten, scheinen die ungelösten Themen endlos. Auch die Kunst setzt sich, nicht nur an der Schnittstelle zur Wissenschaft, mit diesen Fragestellungen auseinander. Nachstehend möchten wir euch einige Projekte aus dem Spektrum der Digital Democracy beim Ars Electronica Festival 2021 ans Herz legen.

Kanada, Slowenien, Iran: Demokratische Projekte rund um die Welt

Im letzten Jahr haben die globale Pandemie und die daraus resultierenden politisch-wirtschaftlichen Auswirkungen, die anhaltenden ökologischen Krisen und die soziokulturelle Explosion der lange schwelenden systemischen Ungerechtigkeit und Ungleichheit die Verflechtung von menschlicher, maschineller und natürlicher Ordnung immer deutlicher werden lassen – mit radikalen Folgen für alle Lebensformen auf diesem Planeten. Die Zukunft erscheint unsicher, instabil, beunruhigend und unbekannt. Mittels Research-Creation erforscht das Netzwerk Hexagram im Ars Electronica Garden Quebéc / EMERGENCE/Y mögliche Zukunftsszenarien in Bezug auf Themen wie den Klimanotstand, die Dringlichkeit einer kritischen Antwort auf die Künstliche Intelligenz oder aufkommende Modelle für die politische Ökonomie unter Einbeziehung von Kunst und Wissenschaft.

Der Ars Electronica Garden Slovenia / konS ≡ Garden for Contemporary Investigative Art and Tactical Media stellt eine Initiative vor, die neun Partner aus fünf slowenischen Städten zusammengebracht hat. In diesen Städten hat das Projekt ein Netzwerks von Labors geschaffen, die Programme für informelle Bildung anbieten, in denen die Teilnehmer*innen ihr theoretisches und praktisches Wissen über die kreative und kritische Nutzung neuer Technologien erweitern und vertiefen können. Auf diese Weise wird die konS≡Platform zu einem Netzwerk von Medienschaffenden, hat Bedeutung im Bereich der Kultivierung von neuen Technologien und wird so zu einem wichtigen Katalysator für den sozialen Wandel.

konS ≡ Garden for Contemporary Investigative Art and Tactical Media, credit: Miha Godec

Ars Electronica Garden Tehran ist ein Online-Klanggarten, der von Beshknow Radio – einem unabhängigen Online-Radiosender und Kollektiv mit Sitz in Teheran – in Zusammenarbeit mit iranischen Klangkünstler*innen aus der ganzen Welt kuratiert wurde. Dieser grenzenlose Klanggarten lädt dazu ein, sich auf einen Perserteppich zu legen und über das Land Iran zu fliegen, um rund um die Uhr den realen Klang der Stadt zu hören, begleitet von stundenlangen Field Recordings und einem großen Happen elektronischer Musik aus einer abstrakten Sichtweise. Kurz: Die ganze Diversität des Landes findet Abbildung in diesem wunderbar demokratischen, vielfältigen Projekt!

Sonic Garden / Beshknow Radio, credit: Sasan Abri

Wer jetzt Lust bekommen hat, noch weiter unter der Flagge der Demokratie durch unsere Gardens und rund um die Welt zu reisen, dem sei noch ein Blick auf den Garden Milan by MEET, den Garden Valdivia, den Garden Peja oder den Garden Los Angeles empfohlen.

Meet in real, in web, in world, credit: MEET

Über (digitale) Demokratie sprechen

Zivilgesellschaftliches Engagement ist für eine pluralistische, offene und solidarische Gesellschaft unerlässlich. Sowohl in der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 als auch in der Coronakrise 2020 wurde deutlich, wie unmittelbar, effektiv und innovativ jene Initiativen, Vereine, NGOs, NPOs und Einzelpersonen, kurz all jene, die üblicherweise als die „Zivilgesellschaft“ gelten, zu handeln imstande sind.

Wie sieht die vielzitierte Welt nach Corona aus? Wie nutzen wir die Potenziale zivilgesellschaftlichen Engagements, sollte sich die Situation neuerlich verschärfen? Und welche Ansätze verhelfen zu einer nachhaltigen sozialen Innovation, die auch in Nicht-Krisenzeiten alle Teilnehmer*innen unserer Gesellschaft erreicht? Diesen Fragen wird das Symposium „Die Zivilgesellschaft der Zukunft: Co-Kreation wirkt.“ mit vielen Expert*innen, Aktivist*innen und Entscheidungsträger*innen nachgehen und damit versuchen, Instrumente und Strategien für eine nachhaltige soziale Innovation zu finden!

credit: Florian Voggeneder

Bildung und Demokratie sowie die demokratische digitale Bildung: Die „create your world TOUR“ fungiert als Vermittler, der Schüler*innen und Lehrer*innen direkt mit dem Wissen und den Ideen der Künstler*innen und Denker*innen im Ars Electronica Netzwerk verbindet. Die Online-Versionen der Workshops waren ein großer Schritt nach vorne, um Lehrer*innen und Schüler*innen während der Pandemie zu motivieren, digitale Lernplattformen weiterhin regelmäßig zu nutzen. Eine neue Generation von Online-Workshops, die von den Digital Natives selbst entwickelt wurden, hat uns gezeigt, wie man eine praktische DIY-Kultur des Unterrichts auf das digitale Klassenzimmer übertragen kann: Bei der Education Conference: A New Digital Deal for Online Open Schooling werden wir von den Macher*innen von drei der jüngsten create your world TOURs über die Herausforderungen und ihre Erfahrungen bei der Anpassung ihres Fachwissens an Online-Workshops hören.

Die Welt befindet sich in einer Phase des Umbruchs, quasi auf einer Expedition ins NEULAND. Wissenschaftsbasiertes Vorgehen und rationales Handeln werden dabei gestört von Populismus, Verschwörungstheorien und Glaubenskämpfen. Soziales Denken und Handeln sowie eine humanitäre Grundeinstellung sind in einer derartigen Situation unumgänglich. Bildung ist dabei unverzichtbare Voraussetzung. Der Bildungssektor muss sich an diesem aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozess aktiv beteiligen. Wie aber kann das gelingen, wenn die Mitglieder von Bildungsinstitutionen selbst Teil der Expedition sind und nicht wissen, wohin die Reise geht? Bewegen wir uns tatsächlich Richtung „Neuer Normalität“? Wenn ja, wie sieht diese „Neue Normalität“ aus? Diesen Fragen widmet sich „NEULAND – das Symposium Politische Bildung“.

Symposium Perspectives on Political Education: NEULAND – A Society on Expedition, Credit: Pädagogische Hochschule OÖ

Wir als Ars Electronica, wir lieben nicht nur den Diskurs, wir sind Demokrat*innen durch und durch und haben uns dem Digitalen Humanismus verschrieben. Du hast noch nie davon gehört? Dann bitte hier weiterlesen… Zu den Festivalprojekten der European Platform for Digital Humanism geht’s hier. 

Die Kunst der Demokratie und die Demokratie in der Kunst

Die Legislative eine der drei Gewalten der Demokratie: Das Projekt „The Virtual Court. Reality.“ zeigt das Potenzial von Virtual Reality-Technologie für Verhandlungen von Verwaltungsbehörden und Gerichten auf. Die ortsungebundene Teilnahme, die Einbeziehung digitaler Quellen und KI-gestützter Tools, die immersiven Animationen von Projektplänen sowie die Visualisierung von Sachverständigen-Prognosen oder Tatorten mittels 360°-Technologien bilden dabei nur einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten, welche präsentiert werden.

The Virtual Court. Reality. credit: LIT Law Lab

Voidopolis ist eine digitale Performance über Verlust und Erinnerung, die als AR-Buch mit einer begrenzten Lebensdauer präsentiert wird. Die Geschichte ist eine lose Nacherzählung von Dantes Inferno, geprägt von der düsteren Erfahrung, während einer Pandemie durch New York City zu streifen. Anstelle von Virgil wird der Erzähler von einem ätzenden Landstreicher namens Nikita durch eine moderne Höllenlandschaft geführt.

Voidopolis, credit Kat Mustatea

Die Arbeit „Grammophon – Unerhörtes – Zitate von 1924-2018“ dreht sich sprichwörtlich um Antisemitismus, Rassismus und Geschlechterrollen. Durch Betätigung der Kurbel werden von der Künstlerin nachgesprochene Zitate aus politischen Parteien der 20er und 30er Jahre als auch Zitate aus den Reihen gegenwärtiger Regierungsparteien hörbar. Beim Zuhören ist nicht mehr klar, aus welcher Zeit welches Zitat stammt. Bei der Recherche konzentrierte sich Alice Hulan größtenteils auf entmenschlichende Aussagen, welche als demagogisches Mittel zur Herabsetzung und Objektifizierung von Menschen angewendet wurden und immer noch werden.

Grammophon-Unerhoertes-Zitate von 1924-2018, credit: Alice Hulan

Was passiert, wenn künstliche Intelligenz (KI) und menschliche Kreativität aufeinander treffen? Naked AI, ein von Cisco Italia und Logotel ins Leben gerufenes Forschungsprojekt, untersucht, wie dieses Zusammentreffen zu einer Weiterentwicklung der menschlichen Beziehungen in Unternehmen und in der Gesellschaft insgesamt führen kann. Es geht nicht mehr nur um Technologie, sondern um Ergebnisse, die verstanden werden müssen, und um Fragen, die noch Antworten verlangen. Wie werden sie zusammenarbeiten? Wie werden die interdisziplinären Netze aussehen, die wir für den Austausch von neuem Wissen aufbauen werden? Wie werden wir Entscheidungsprozesse steuern? Und welche Verantwortung wird sich aus diesen Szenarien ergeben?

NAKED AI, Cisco Italy s.r.l (IT), Logotel (IT), Credits: background image: Neural Zoo by Sofia Crespo (DE), graphics by Valeria Crociata, Logotel (IT)

Auch an den Unis beschäftigt man sich eingehend mit demokratischen Fragen: [2m], CNC Punch Needle Machine, Injected Sounds Referring to Dissolution, PHC (Painfully Human Chatbot), Votetandem.org, Amt für Kleinstdelikte oder Freedom of Conscience sind nur ein paar jener Projekte von Studierenden der Kunstuni oder der Zurich University of the Arts (ZHdK), Interaction Design Department IAD (CH), die am Gelände der Kunstuni bei der LOOPS OF WISDOM Ausstellung präsentiert werden.

Interface Cultures, Ear to Ear, Anaïs Lossouarn (FR), Credit: Anaïs Lossouarn

Und zuletzt werfen wir noch einen Blick auf das kleine Gebäude in der Nähe: Das Salzamt an sich ist schon eine höchst demokratische Einrichtung, stellt es doch ein Atelierhaus für wechselnde Künstler*innen dar und bietet außerdem diesen auch Wohnraum. Es beherbergt während des Festivals die Ausstellung Hosted by Bildraum Vienna and Ars Electronica at Salzamt Linz, die Arbeiten von Simon Lehner, Flavia Mazzanti und Michaela Putz zeigt.

Mehr über das Ars Electronica Festival könnt ihr laufend hier auf unserem Blog, auf der Website sowie auf unseren Social Media Kanälen – auf Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn nachlesen.

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