Wissen ist die Grundlage unserer Entscheidungen für die Zukunft. Die anschauliche Aufbereitung komplexer Inhalte aus dem Hoheitsgebiet der Wissenschaft, dient einer aufgeklärten Gesellschaft als Basis und wichtige Quelle der Information. Das Formulieren lebensnaher Fragen und die niederschwellige Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gehören daher zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Weil es aber viele Gründe dafür gibt, warum Menschen immer wieder wider besseren Wissens entscheiden, steht dabei nicht die einseitige Bereitstellung von Informationen im Mittelpunkt. Vielmehr sollte die Wissenschaft die Gesellschaft an den wichtigen Themen teilhaben lassen, um sie damit zu berühren. Zwischen Wissensproduktion und -vermittlung, zwischen Wissenschaftlichkeit und Verständlichkeit gilt es, eine Brücke zu schlagen. Doch wer vermag diese schwierige Aufgabe zu lösen – und vor allem, wie?
Zusammen mit dem Naturhistorischen Museum Wien und INSEQ Design hat das Ars Electronica Futurelab versucht, diese Herausforderung zu meistern – mit großem Erfolg: Deck 50, eine neue Plattform für Citizen Science im NHM, ist für die Vernetzung und den intensiven Austausch zwischen Gesellschaft und Forschung konzipiert. Am 30.9. wird der innovative, vielseitige und wandelbare Museumsbereich in den traditionsreichen Räumlichkeiten am Wiener Ring eröffnet und lädt diverse Alltagsexpert*innen aller Alters- und Bildungsschichten und jeglicher Herkunft dazu ein, mitzumachen, Wissenschaft hautnah zu erleben und vom*von der passiv Konsumierenden zum*zur Forschenden zu werden. Mittels Citizen Science weckt das Museum bei der Bevölkerung den Forscherinstinkt: Das digitale System wird unter Mitarbeit interessierter Besucher*innen mit Daten und Meinungen, Alltagswissen oder auch visuellen Statements befüllt, die von den Wissenschaftler*innen ausgewertet und interpretiert werden können. Modernste Technologien unterstützen mit einer Reihe von interaktiven Forschungsstationen, transparenten Touchdisplays und virtuellen Welten den wissenschaftlichen Vermittlungsprozess.
Die Fragen, mit denen sich das Museum zusammen mit den Besucher*innen derzeit im Deck 50 befasst, sind ebenso aktuell, wie umfangreich: Wie steht es um unser Konsumverhalten in Bezug auf die Lebewesen in unseren Meeren? Was sollten wir über die Rohstoffe in unseren Mobiltelefonen wissen? Und: Wie soll es mit der Wiederbesiedelung unserer Wälder durch den Wolf weitergehen?
Forschend, entdeckend und gestaltend hinterlassen die Citizen Scientists im Deck 50 deutliche Spuren und wissenschaftlich verwertbare Daten, und sorgen so nicht nur für neue Erkenntnisse, sondern bauen auch eine enge Beziehung zur Wissenschaft auf. Bereichert um einen künstlerischen Zugang, der die komplexen Inhalte in eine verständliche Sprache übersetzt, eröffnet das Museum damit neue Quellen für Wissen und Information. Das interaktive Vermittlungssystem wird sowohl von den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in den Forschungsabteilungen des Museums als auch von den Besuchenden regelmäßig mit neuen Informationen befüllt. Der wechselseitige Wissenstransfer verfolgt an den einzelnen Stationen sehr unterschiedliche Ansätze. Je nach inhaltlichem Schwerpunkt können die Nutzungsmöglichkeiten den Anforderungen entsprechend erweitert werden und passen sich so bestmöglich den schnell wechselnden Forschungsprioritäten an. Die interaktive Plattform dient dem Museum aber auch als Werkzeug der Reflexion, weil es sich damit auch mit den Ideen und Meinungen der Besucher*innen befassen kann.
Marianne Eisl und Stefan Mittlböck-Jungwirth-Fohringer, Projektverantwortliche aus dem Deck 50-Team des Ars Electronica Futurelab, über die Aufgaben der Wissenschaft im Informationszeitalter, die Bedeutung unkonventioneller Ansätze in der Wissenschaftsvermittlung und Citizen Science im Naturhistorischen Museum Wien.
Wie muss sich Wissenschaft präsentieren, um in Kontakt mit einer breiten Öffentlichkeit zu kommen?
Die Wissenschaft muss aus ihrem Elfenbeinturm treten und einen Dialog mit der Gesellschaft suchen, der auf einer gemeinsamen Sprache beruht, wenn es darum geht, einen wechselseitigen Austausch zwischen Forschung und Gesellschaft zu ermöglichen. Erst wenn sich Forscher*innen und Menschen aus dem Zentrum der Gesellschaft gemeinsam an einem Ort bewegen und miteinander in Resonanz gehen können, kann eine gemeinsame Ebene der Verständigung entstehen.
Marianne Eisl: Ziel dieses Dialoges ist nicht der einseitige Wissenstransfer, sondern die Erweiterung des jeweiligen Horizonts. Auf beiden Seiten wird am Ende das Gefühl übrigbleiben, einem Thema wirklich einen Schritt näher gekommen zu sein. Mit unseren Vermittlungskonzept Deck 50 wollen wir Interesse wecken und eine emotionale Verbindung zu den oft sehr komplexen Inhalten schaffen; als Anreiz für eine Auseinandersetzung mit so manch schwieriger Frage, vor der unserer Gesellschaft heute steht. Wir wollen eine Brücke bauen, die eine intensive Begegnung mit der Wissenschaft möglich macht.
Der Transfer von Wissen und Erfahrung braucht ein System der Vermittlung, das auf Interaktion, Identifikation und Erfahrungsgewinn basiert. Mit dem Konzept für den multimedialen und muitfunktionalen Raum Deck 50, das all diese Punkte berücksichtigt, haben wir im Naturhistorischen Museum einen sehr vielseitigen Ort der Wissenschaftskommunikation geschaffen, dessen Funktion weit über den Transfer von Information hinausgeht.
Stefan Mittlböck-Jungwirth-Fohringer: Wir verleihen der Wissenschaft damit keine Bühne, sondern geben ihr ein Kommunikationswerkzeug zur Hand, das es ihr ermöglicht, neue Erkenntnisse, Informationen und Erfahrungen aus erster Hand in der Gesellschaft zu manifestieren. Mit dem Deck 50 haben wir einen Spielraum für Interaktion geschaffen; einen Ort, an dem sich Menschen begegnen, um ihr Wissen durch eigene Erfahrung zu erweitern.
Wie können Wissenschaftler*innen aus diesem wechselseitigen Dialog profitieren?
Marianne Eisl: Problemlösungsstrategien innerhalb der eigenen Disziplin sind ein weit verbreiteter Ansatz, nicht nur in der Wissenschaft. Immer wieder hat sich aber herausgestellt, wie wichtig es ist, die eigene Welt zu verlassen, um den komplexen Problemen der Gegenwart und Zukunft wirklich auf den Grund zu gehen, sie aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neue Sichtweisen darauf zu gewinnen. Denn diese verleihen den Inhalten in vielerlei Hinsicht eine neue Tiefe und Diversität.
Stefan Mittlböck-Jungwirth-Fohringer: Eine gute Gelegenheit dazu bietet die Kunst: Ihr kreativer Zugang ermöglicht es, immer wieder neue Ideen zu entwickeln und den wissenschaftlichen Prozess damit zu unterstützen. Citizen Science Konzepte lassen Zugänge aus anderen Disziplinen zu, und: Die Gesellschaft darf sich am wissenschaftlichen Prozess beteiligen.
Die Vorteile für die Wissenschaftler*innen liegen vor allem in jenen Bereichen, in denen sich das praktische Wissen der Bevölkerung mit dem systematisierten Wissen aus der Forschung überlagert und kombiniert. Die Debatten, die an diesen Schnittstellen geführt werden, tragen zu einem besseren Verständnis für die Anliegen der Forschung bei. Gleichzeitig führt der Austausch aber auch zu einer höheren Relevanz der Forschungsfragen und –ergebnisse für die breite Öffentlichkeit.
Erfahren Sie mehr über die Zusammenarbeit des Ars Electronica Futurelab mit dem Naturhistorischen Museum Wien auf Ars Electronica Home Delivery und das mobile Museumsmöbel NHM on Tour am Ars Electronica Blog, das sich mit der Frage „Hat Licht für Sie auch eine Schattenseite?” an die Bevölkerung wendet und zusammen mit ihr die stark zunehmende Lichtverschmutzung in Wien thematisiert. Besuchen Sie unsere Website und lassen Sie sich durch die weiteren Ideen und Projekte an der Grenze zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft inspirieren.
Marianne Eisl ist seit 2015 Teil des Ars Electronica Futurelab Teams, wo sie interaktive und partizipative Artefakte sowie Konzepte für Ausstellungen und begreifbare Installationen entwickelt. Dabei liegt ihr Fokus auf der Zusammenarbeit mit Menschen und der Nutzung von gemeinsamem Wissen. Ihren Forschungsschwerpunkt hat sie auf dem Gebiet Tangible Link.
Stefan Mittlböck-Jungwirth-Fohringer ist seit 2001 Mitglied des Ars Electronica Futurelab. Er studierte Malerei und Grafik an der Kunstuniversität Linz und bringt als gelernter Elektriker technische und handwerkliche Fähigkeiten mit. Seine Diplomarbeit beschäftigte sich mit der Frage nach der Abwesenheit von Zeit in bewegten Bildern. Als Künstler, Producer und Key Researcher forscht er im Ars Electronica Futurelab an Poetic Systems im Kontext von Kunst und Architektur.