Das Jahr neigt sich dem Ende zu und bevor wir es verabschieden, blicken wir zurück auf zwölf Monate intensiver gesellschaftlicher Erfahrungen, Herausforderungen, inspirierender Momente und spannender Projekte.
Die Unternehmensphilosophie der Ars Electronica manifestiert sich in der festen Überzeugung, dass die Fusion von Kunst, Technologie und Gesellschaft den Weg in die Zukunft weist. Im Verständnis von „Gesellschaft“ als einer Gruppe von Individuen, die in sozialer Interaktion stehen, setzt sich die Ars Electronica zum Ziel, gemeinsam mit Mitgliedern dieser Gesellschaft– Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen – aktuelle Entwicklungen zu erforschen und über deren mögliche Auswirkungen in der Zukunft zu spekulieren.
Im vergangenen Jahr haben wir uns wieder intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir unsere Rolle in der Gesellschaft definieren können und aktiv am Diskurs teilgenommen. Unser zentrales Anliegen? Die Bedürfnisse und Perspektiven der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken.
Auf der Suche nach der gemeinsamen Wahrheit
Das weltweit größte Medienkunstfestival widmete sich 2023 einem Thema, das eng mit aktuellen Herausforderungen wie Fake News, künstlicher Intelligenz und der Frage nach der Deutungshoheit in unserer heutigen Gesellschaft verbunden ist: der Wahrheit. Unter dem Titel „Who Owns the Truth“ wurden Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Designer*innen und Akitivist*innen aus aller Welt nach Linz eingeladen, um sich mit dieser Fragestellung vertieft auseinanderzusetzen.
Das Festival setzte dabei den Fokus nicht auf die Suche nach objektiver Wahrheit, sondern vielmehr darauf, wer in unserer Gesellschaft die Deutungshoheit über die Wahrheit innehat und wie diese kommuniziert wird. Themen wie Eigentum, Souveränität, Digitalisierung und künstliche Intelligenz, die im Brennpunkt unserer zeit stehen, wurden in Form von diversen Ausstellungen, Lectures, Performances und Diskussionsrunden hinterfragt, bearbeitet und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bekanntlich zeichnet sich das Ars Electronica Festival dabei nicht nur durch die Bereitstellung von Informationen aus – Besucher*innen werden bei uns aktiv dazu aufgefordert, sich mit den zeitgenössischen Problemen und Herausforderungen auseinanderzusetzten und sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst zu werden.
Auch inhaltlich haben uns die Themen Wahrheit und Gesellschaft während des Festivals auf eine Gedankenreise geführt. Ein Höhepunkt war zweifellos die diesjährige Themenausstellung „(Co)Owning More-than-Truth“, die im Rahmen des europäischen Projekts More-than-Planet entwickelt wurde. Inmitten der Herausforderungen des Klimawandels, der Flut von Fake News und der teilweise lückenhaften Informationen ruft dieses Projekt dazu auf, nicht nur unser Wetlbild in Frage zu stellen, sondern auch einen Blick auf unsere Beziehungen, Sprachen und unser Bewusstsein zu werfen und diese nach Bedarf zu transformieren.
Auch die S+T+ARTs Prize Ausstellung, die Menschen und Projekte in den Mittepunkt stellt, die dazu beitragen Europas soziale, ökologische und ökonomische Herausforderungen zu meistern, stellt den Begriff „Society“ in den Vordergrund. So beschäftigt sich das diesjährige Gewinnerinnenprojekt „Pollinator Pathmaker“ von Alexandra Daisy Ginsberg beispielsweise mit der Idee, die Welt aus der Perspektive von Pflanzen und Bestäubern zu betrachten. Sie ruft damit die Gesellschaft auf, etwas gegen den dramatischen Rückgang der bestäubenden Insekten zu unternehmen, der auf den Verlust von Lebensräumen, Pestiziden, invasiven Arten und dem menschengemachten Klimawandel zurückzuführen ist.
Inmitten des Ars Electronica Festivals fand auch 2023 erneut das „create your world” Festival in der POSTCITY statt. Unter dem provokanten Titel „Truth or Dare“ wurde in Anlehnung an das gleichnamige Partyspiel ein Appell formuliert, sich den aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft zu stellen. Festivalbesucher*innen wurden vor die Wahl gestellt: Eine möglicherweise unangenehme Frage ehrliche zu beantworten oder sich einer bestimmten Aufgabe zu stellen. Warum die Verbindung zum Partyspiel? Nunja, je weiter die Klimakrise und andere Problematiken der heutigen Zeit voranschreiten und Konflikte sich verschärfen, desto mehr entsteht der Eindruck, dass den maßgeblichen Entscheidungsträger*innen entweder der aufzubringende Mut fehlt, mit der Öffentlichkeit ehrlich zu kommunizieren, oder der Wille, dringend notwendige Veränderungen in die Wege zu leiten.
Ein weiteres Projekt, das sich dieses Jahr mit gesellschaftlichen Herausforderungen beschäftigte und dafür den renommierten Ars Electronica Award for Digital Humanity des Bundesministeriums für Europäische und Internationale Angelegenheiten erhalten hat, ist „Masakhane – We build together“. Trotz der Existenz von etwa 2000 afrikanischen Sprachen auf unserem Planeten, sind diese im Bereich der Technologie kaum repräsentiert – ein Phänomen, das auf die Nachwirkungen des Kolonialismus zurückzuführen ist. Das Masakhane Projekt setzt an diesem Punkt an und hat das klare Ziel, dies zu ändern. Die treibenden Kräfte hinter dem Projekt stärken und fördern die neuro- linguistische Programmierforschung, um so für Afrikaner*innen eine Präsenz im technologischen Raum zu schaffen. Dabei werden Menschenwürde, Wohlbefinden und Gleichberechtigung in den Fokus gerückt.
Wissensspuren: Wie Bildung den Weg für die Gesellschaft ebnet
Ein weiteres zentrales Anliegen, das die Ars Electronica verfolgt, besteht in der nachhaltigen Förderung des Bildungsbereichs. Unser Unternehmen betrachtet Bildung nicht nur als Schlüssel zur individuellen Entfaltung, sondern auch als entscheidenden Pfeiler für die positive Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes. In diesem Sinne initiierte Ars Electronica auch in diesem Jahr wieder inspirierende Programme und Projekte, die die Bildungslandschaft bereichern und einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten.
Ein Versuch das Bildungsareal weiter zu fördern, manifestierte sich beispielsweise in dem Kollaborationsprojekt „FOUNDING LAB“, das aus einer Partnerschaft zwischen der Interdisciplinary Transformation University Austria (IT:U) und Ars Electronica hervorging. Das vorrangige Ziel des FOUNDING LAB? Neue Konzepte, Herangehensweisen und Formate entwickeln, die sich den vielfältigen Herausforderungen einer digitalen Transformation stellen. Der Prototyp für eine neue Universität durchbricht damit konventionelle Grenzen und setzt sich aktiv mit widersprüchlichen Realitäten unserer gegenwärtigen Zeit auseinander.
Beim FOUNDING LAB vereint ein breites Spektrum von Expert*innen, Vordenker*innen, Wissenschaftler*innen und Innovator*innen aus verschiedenster Fachrichtung, seine Kräfte, um innovative Wege für einen tiefgreifenden digitalen Wandel zu erkunden und zu definieren. Die bereits erarbeiteten Inhalte werden aktuell im FALL TERM weiter vertieft und erforscht, um so einen nachhaltigen Beitrag zur Gestaltung einer zukunftsorientierten Bildungslandschaft zu leisten.
Auch für die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft wurde während des Festivals für Unterhaltung und Bildung gesorgt. Diese erhielten die Möglichkeit, praktische Lernerfahrungen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Kunst und Technik zu sammeln. Wo? Im Missimo Truck – einem innovativen, mobilen Lern- und Verbreitungskonzept spezielle kreiert für Volksschulen. Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren wurden eingeladen, spannende Experimente aus den Bereichen künstliche Intelligenz, Robotik und Programmierung auszuprobieren. Damit bot der Truck nicht nur eine unterhaltsame und interaktive Lernumgebung, sondern förderte auch das frühzeitige Interesse an den vielfältigen Facetten von Wissenschaft und Technik. Doch die Reise des Missimo Trucks ist noch nicht zu Ende! Auch im Jahr 2024 wird das Fahrzeug wieder durch Österreich touren, um Volksschulkinder in ländlichen Regionen noch näher and die Technik heranzuführen.
Erneut ins Leben gerufen wurde 2023 auch der Open Call für „Klasse! Lernen. Wir sind digital“. Das gemeinsame Ziel des Bildungspreises von BMBWF, OeAD und Ars Electronica lautet: die nachhaltige Verankerung und vielseitige Nutzung von digitalen und neuen Technologien im Unterricht fördern. Den begehrten Hauptpreis in Höhe von 10.000 Euro sicherte sich diesmal die Musikmittelschule Eggenburg. „He(a)rophone“ konnte die Jury, die aus Expert*innen bestand voll und ganz mit ihrem durchdachten und nachhaltigen Konzept überzeugen.
Bildung und Gesellschaft – zwei Sphären, die in der heutigen Zeit von einem Begriff durchdrungen werden: Digitalisierung. Sie bedeutet für uns mehr als nur die Einführung neuer Technologien – sie ist eng verwebt mit unserer Identität. Kein bloßer technologischer Fortschritt, sondern eine umfassende Akzeptanz des Digitalen in unserem Alltag. Wann genau sie in unser Leben trat ist unklar, doch die Digitalisierung ist keineswegs ein frischer Trend. Die „Digital Natives“, Kinder der Digitalisierung, sind nämlich schon längst aus ihren digitalen Kinderschuhen herausgewachsen. Ihre Fähigkeit, geschickt durch die virtuelle Welt zu spazieren, ist ein Beweis dafür, wie ein früher Umgang mit Technologien dazu beitragen kann, sich mühelos in der sich stätig, wandelnden digitalen Welt zu bewegen.
Miteinander, Füreinander: Gesellschaft
Ein weiterer wichtiger Teil der Ars Electronica, der den Begriff „society“ in den Mittelpunkt stellt, ist der European Prize for Citizen Science. Als lebendiges Statement für den gesellschaftlichen und politischen Wandel in Europa geht der Preis über einen reinen Wettbewerb hinaus und würdigt herausragende Projekte, die eine inklusive, pluralistische und nachhaltige Gesellschaft fördern. In diesem Jahr ging der begehrte Grand Prize an die Initiative „Isala: Citizen-science map of vaginal microbiome“. Das Projekt stellt das bisher weltweit größte Citizen Science Projekt im Bereich der Frauengesundheit dar und trägt nicht nur zu einem tieferen Verständnis, sondern auch zu einem offenen Dialog über Frauengesundheit und die generelle Bedeutung von Citizen Science in unserer Gesellschaft bei.
Während der European Prize for Citizen Science die Dynamik einer inklusiven und nachhaltigen Gesellschaft feiert, lenkte im Mai 2023 eine bewegende Gedenkveranstaltung an der KZ-Gedenkstätte Gusen den Fokus auf die unvergesslichen Schicksale derjenigen, die unter unmenschlichen Bedingungen leiden mussten. Unter dem Titel #eachnamematters wurde durch eine Licht- und Toninstallation insbesondere an jene Häftlinge erinnert, die unter inhumanen Verhältnissen und Zwangsarbeit die Tunnel des Lagers errichten mussten. Die Veranstaltung rückte nicht nur die historische Tragödie in den Fokus, sondern betonte auch die fortwährende Bedeutung der Erinnerung und des Respekts vor den Opfern.
Ein bedeutsamer Tag für die ganze Menschheit wurde auch im Ars Electronica Center thematisiert – der Earth Day. Dieser Tag bot nicht nur die Gelegenheit, die Wertschätzung für unsere natürliche Umwelt zu betonen, sondern regte auch dazu an, über unser individuelles Konsumverhalten intensiv nachzudenken. Die tiefergehende Bedeutung des Earth Day liegt in seinem Appell, sich aktiv für den Schutz unseres Planeten einzusetzen und nötige Veränderungen herbeizuführen. Unter dem diesjährigen Motto: „Invest in our Planet“ eröffnete der Deep Space 8K seine Türen, um Besucher*innen diverse Einblicke in das Thema „Planet Erde“ zu ermöglichen.
Die Ars Electronica schaut auf ein ereignisreiches Jahr zurück, das von der intensiven Auseinandersetzung mit den Themen Gesellschaft und Wahrheit geprägt war. Vom Festivalthema „Who Owns the Truth“ über inspirierende Projekte bis hin zur Förderung von Bildung und Bürgerwissenschaften – die Ars Electronica bleibt ein kreatives Unternehmen, das uns dazu aufruft, gemeinsam eine nachhaltige Gesellschaft zu gestalten. In einer Welt des Wandels werden wir daran erinnert, dass die Verschmelzung von Kunst, Technologie und Gesellschaft nicht nur der Weg in die Zukunft ist, sondern auch der Weg in eine bessere Welt für uns alle. Hiermit verabschieden wir uns von 2023 und freuen uns auf ein aufregendes, neues Jahr!