Visionen für eine Gesellschaft von morgen sind die Substanz des Ars Electronica Futurelab. Durch einen inspirierenden Perspektivenwechsel an der Grenze zwischen Kunst und Technologie stellt sich das Labor immer wieder kritischen Fragen zur Zukunft unserer Gesellschaft. Die fordernden Umstände unserer Zeit werden so künstlerisch reflektiert; wissenschaftliche Erkenntnisse und Thesen werden begreifbar gemacht. Die Futurelab Ideas Expedition, ein interner Wettbewerb für Ideen inspiriert seit 2020 das gesamte Team zu einem Feuerwerk an unkonventionellen Gedanken. Die besten Ideen aus der Futurelab Ideas Expedition wurden auch heuer wieder im Rahmen des Ars Electronica Festivals präsentiert. Horst Hörtner, Senior Director und Expeditionsleiter im Ars Electronica Futurelab über die Relevanz gelungener Konzepte, die Voraussetzungen für Transformation und Innovation und die Herausforderungen in der Führungsposition innerhalb eines visionären Teams.
„Innovation liegt jenseits von Talent und Herausforderung“
Ideen und Kreativität sind eine elementare Ressource im Ars Electronica Futurelab und gleichzeitig die Substanz jeglicher Innovation. Woraus ist diese Idee entstanden und was ist deren Scope?
Horst Hörtner: Seit 25 Jahren setzen wir mit Kreativität und Ideenreichtum innovative Projekte um, darunter zahlreiche Entwicklungen für und mit verschiedenen Partner*innen. Durch diese Kooperationen entstehen in Kombination mit den gestellten Anforderungen jene visionären Konzepte, für die das Ars Electronica Futurelab international bekannt ist. Ein überwiegend anforderungsgetriebener Zugang bringt allerdings immer auch gewisse Einschränkungen für die Entfaltung von Dynamik und Vielfalt mit sich.
Die ausschließliche Fokussierung auf Zahlen und KPIs dämpft den Innovationsmotor jedes Unternehmens früher oder später stark. Viel wichtiger ist es, sich offen Diskussionen zu stellen, um jene Themen zu identifizieren, die innerhalb des Teams den entscheidenden Impact hinterlassen. Nur so ist es möglich, auch kleine Funken wahrzunehmen und zu Akteuren innerhalb dieses großen Feuerwerks an Ideen werden zu lassen. Das ist die Motivation, die hinter der Futurelab Ideas Expedition steht. Wir wollen immer und immer wieder neue Fragen aufwerfen und neue Perspektiven eröffnen, um das Konzept und das erforderliche Mindset als Basis für kontinuierliche Entwicklung zu schaffen. Mit jedem unserer Projekte suchen wir die notwendige Transformation, die Weiterentwicklung unseres Denkens und Handelns.
Während Wirtschaftsphilosophen wie Joseph Alois Schumpeter sie als einen Zugang zu einem neuen oder auch bekannten Thema definieren, welcher gleichzeitig immer auch betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, definieren wir den Begriff der Innovation für uns anders. Innovation kann eine neue Antwort auf eine bestehende Frage sein. Manchmal ist sie aber auch nur eine interessante Frage innerhalb einer fortschreitenden Diskussion, die uns zur Reflexion einlädt. Der betriebswirtschaftliche Rückfluss spielt für diese Definition des Begriffs jedenfalls keine herausragende Rolle. Uns geht es in erster Linie um den Gewinn für die Gesellschaft – einen Beitrag etwa wie das Aufzeigen von Bedeutungszusammenhängen oder wie wir diese (auch völlig spekulativ) weiterdenken könnten. Unsere Projekte verstehen sich als Einladung zum Diskurs über diesen Bedeutungszusammenhang für uns als Individuen genauso wie für uns als Gesellschaft.
Das systematische Einsammeln, Fördern und Realisieren der unterschiedlichen Gedanken und Ideen direkt aus der Mitte unseres Teams, das Nachhaken bei jeder Person und ihrem individuellen Verständnis der Welt, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit, und damit auch erklärtes Ziel dieser gemeinsamen Expedition. Wir wollen die vielen Talente in unserem interdisziplinären Team dazu motivieren, neue Richtungen einzuschlagen oder vorhandene Themen aus einer neuen Perspektive zu diskutieren. Letzten Endes ist es immer eine Kombination aus all diesen Menschen und Ideen, die das Labor auch für die Mitarbeiter*innen interessant und inspirierend hält. Das Ganze war eben immer schon mehr als die Summe seiner Einzelteile. Dass es nicht um ein Preisgeld geht, sondern die Wertschätzung von Kreativität und Freude an der Umsetzung eigener Ideen, die uns als Team bewegt, ist uns dabei sehr wichtig.
Die gelungene Performance des Labors in den letzten 25 Jahren sehen wir in erster Linie als erstklassige Leistung unserer Mitarbeiter*innen an. Als Dankschön setzen wir mit der Futurelab Ideas Expedition Produktionsbudgets für die Realisierung dieser Ideen und Prototypen frei. Der inklusive Charakter des Programms ist uns dabei ein wichtiges Anliegen: Durch die inhaltliche Offenheit des Calls für alle erdenklichen Beiträge an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft ist es auch ganz neuen Mitgliedern des Labs möglich, an dem Wettbewerb erfolgreich teilzunehmen.
Eine Initiative wie die Futurelab Ideas Expedition setzt eine sehr aufgeschlossene und vertrauensvolle Unternehmenskultur voraus. Wie würdest du die kreativitätsfördernde Strategie des Ars Electronica Futurelab beschreiben? Welche Rolle spielt man als Führungskraft dabei, neue Einfälle anzuregen, Inspiration zu vermitteln und Innovation zu fördern?
Horst Hörtner: Zuhören. Und dafür sorgen, dass man selbst für seine Arbeit brennt. Wir arbeiten täglich daran, vorhandene Talente zu entdecken, zu fördern und fordern. Unser Team muss über sich selbst hinauswachsen dürfen, und dafür braucht es Freiräume. Denn nur Themen, für die ein*e Mitarbeiter*in wirklich brennt, führen zu einer hohen Qualität der Ergebnisse.
Ich sehe meine Aufgabe in der Führungsposition darin, solche Freiräume so gut es geht zu schaffen oder – wo ohnehin vorhanden – immer wieder anzubieten. Am besten geht das, wenn in einem selbst für das, was man tut, ein Feuer lodert, denn Feuer steckt an. Unsere Motivation entsteht oft in wechselseitigem Austausch, in dem, was wir „Creative Collisions“ nennen. In diesen Kollisionen geht es um die Funken, die dabei sprühen und die immer wieder dabei helfen, Dinge auch anders zu sehen. In diesen Kollisionen geht es aber gerade nicht um den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ oder irgendwelche Kompromisse. Das kann schon auch mal intensiver werden. Auch darin liegt die Qualität unserer Projekte, die in vielen Kooperationen mit Wirtschaft und Industrie sowie Institutionen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, aber auch aus Eigeninitiative heraus entstehen.
Die Futurelab Ideas Expedition 2021 fand zum zweiten Mal statt und ist immer wieder auch ein Experiment. Innerhalb des Teams des Ars Electronica Futurelab muss das Spektrum der Einfälle umfangreich gewesen sein. Gab es einen roten Faden, der sich durch die Einreichungen zog? Ließen sich bestimmte thematische Richtungen erkennen?
Horst Hörtner: Zum Glück nicht. Das erhoffte Feuerwerk ist tatsächlich passiert, und dessen Funkenflug entwickelte sich in alle Richtungen. Das Ergebnis war ein Abbild all dieser vielen individuellen Perspektiven und Blickwinkel der Mitarbeiter*innen. Einige Themen waren schon bekannt, und doch fanden sich „neue Blickwinkel“, doch es waren auch sehr überraschende Konzepte und Ideen dabei. Sinn der Initiative war es auch, jenseits der Erwartungshaltung einzelnen Mitarbeiter*innen gegenüber, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und sich überraschen zu lassen. Der einzige rote Faden, an dem wirklich jedes Projekt hing, war die Auseinandersetzung mit der Zukunft als Beitrag zu unserem 25-jährigen Jubiläum des Ars Electronica Futurelab, und die Positionierung der Ideen im Nexus von Kunst, Technologie und Gesellschaft.
Wirklich erfreulich war auch die ambitionierte Teilnahme am Wettbewerb. Jede einzelne Einreichung hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Entscheidung für die drei Gewinnerprojekte, die für unsere Ausstellung Alchemists of the Future im Rahmen des Ars Electronica Festival 2021 realisiert und präsentiert werden, war für die Jury nicht einfach. Die Jury besteht aus den drei Directors des Ars Electronica Futurelab: Roland Haring, Hideaki Ogawa und mir. Eine Auswahl zu treffen, fällt wirklich sehr schwer.
Welche waren 2021 die herausragendsten Ideen der Futurelab Ideas Expedition, die nun im Rahmen des Festivals und der Ausstellung Alchemists of the Future – The Journey zu sehen sind?
Horst Hörtner: Die Projekte, die wir in diesem Jahr ausgezeichnet haben, waren Memo Futurum von Susanne Kiesenhofer, Sounding Letters von Ali Nikrang und OutReach von Manuel Dobusch und Simon Schmid. Erwähnen möchten wir aber darüber hinaus aber auch die Ideen Mangellan Robot, ebenfalls von Manuel und Simon, sowie Bio Material Art Lab von Yoko Shimizu.
Mit Memo Futurum will Susanne Kiesenhofer unsere persönlichen und kollektive Zukunftsvisionen unter die Lupe nehmen, indem sie die Frage stellt, wie wir uns und unser Leben in 25 Jahren sehen. Sie möchte herausfinden, welches Bild wir von unserer Zukunft haben. Bei unseren Vorstellungen der Zukunft geht es ja nicht um Fakten, sondern darum, herauszufinden, wie wir die Welt um uns herum interpretieren. Unsere Erwartungshaltung beeinflusst unsere Wahrnehmung, unsere Werte und unser Verhalten und ist somit prägender Teil unserer Identität. Memo Futurum verschafft uns Zugang zu den Zukunftsvisionen unserer Gesellschaft und lässt uns die Fragen der Gegenwart besser verstehen. Auf der Memo-Futurum-Website ist jede*r bis Ende des Jahres dazu eingeladen, eine Botschaft zu hinterlassen oder über die „Memos“ anderer zu reflektieren. Damit entsteht eine gemeinsame Plattform für die Dokumentation einer kollektiven Vision. Die gesammelten Daten werden nicht digital, sondern auf Schallplatten 25 Jahre lang aufbewahrt, um sie dann erneut zugänglich zu machen und mit neuen Visionen zu vergleichen. Memo Futurum soll so zu einem Ritual werden, das sich alle 25 Jahre wiederholt Es ist ein Aufruf, unsere eigenen Zukunftsvisionen zu überprüfen und uns mit den Visionen anderer auseinanderzusetzen.
Auch Ali Nikrang’s Idee Sounding Letters hat uns vollkommen überzeugt. Unter Anwendung seines AI-Musikkompositions-Companion Ricercar – einem der Gewinnerprojekte der ersten Futurelab Ideas Expedition 2020 – hat er die Initialen A.E.F. und A.E.C. der Jubilare Ars Electronica Futurelab und Ars Electronica Center als Noten-Vorgaben und Rahmenbedingung der Komposition, die er mit Ricercar gemeinsam schaffen möchte, vorgestellt. Denn sowohl das Ars Electronica Futurelab als auch das Ars Electronica Center feiern ja heuer ihr 25-jähriges Bestehen. Die gemeinsam mit Ricercar generierte Komposition basiert auf der Idee, Buchstaben aus dem Alphabet als musikalische Noten zu interpretieren. Eines der so entstandenen Stücke wurde dafür ausgewählt, am Futurelab Day, dem 9. September, im Rahmen des Ars Electronica Festival 2021 von Ali Nikrang selbst aufgeführt zu werden. Die Visualisierungen im Deep Space stammen von Florian Berger.
„Meine Motivation ist die Neugierde. Technologie und – insbesondere- KI kann uns neue Perspektiven auf zutiefst menschliche Themen wie Kreativität, Musik und letztlich uns selbst geben, die noch vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wären.“
Eine weitere großartige Idee, die im Zuge der Installation Hybrid Space unserer Ausstellung Alchemists of the Future zu sehen sein wird, haben Manuel Dobusch und Simon Schmid geliefert: Mit OutReach erweitern sie den Aktionsraum eines von Online-Besucher*innen bedienbaren Telepräsenzroboters Double Robot. Einem (bereits handelsüblichen) Telepräsenz-Roboter, der sich als „Avatar“ durch entfernte Räumlichkeiten via Internet von Benutzer*innen steuern lässt, fehlte es an Möglichkeiten zur physischen Interaktion. Durch das Hinzufügen von ferngesteuerten Aktuatoren zur bestehenden Infrastruktur im entfernten Raum (wie etwa Lichtschaltern, Aufzugsknöpfen oder anderen Bedienelementen), verleiht der Roboter den Nutzer*innen nicht nur eine Form von „physischer Präsenz“, sondern bietet darüber hinaus die Möglichkeit zur direkten Interaktion mit der entfernten Umgebung.
„Die vielen Eindrücke, die durch die Präsentationen, Gespräche und die unterschiedlichen Perspektiven entstehen, lassen Ideen förmlich von selbst enstehen. Die Futurelab Ideas Expedition inspiriert dazu, eigene Gedanken in Worte zu fassen.“
Die Hingabe und Motivation, mit der die Künstler*innen und Forscher*innen hier im Lab an ihren Ideen und Konzepten feilen, ist ansteckend. Wir werden deshalb auch in Zukunft alle Hebel in Bewegung setzen, die Futurelab Ideas Expedition jährlich wiederholen zu können. Sie könnte sich zu einem wichtigen Kompass für die Navigation in die Zukunft des Labors entwickeln!
Erlebt die ausgezeichneten Projekte der Futurelab Ideas Expedition 2021 anlässlich des 25. Jubiläums des Ars Electronica Futurelab als Teil der Ausstellung Alchemists of the Future – The Journey und der Night Performances. Lasst euch auch von den Honorary Mentions 2021 und den preisgekrönten Projekten der ersten Futurelab Ideas Expedition 2020 inspirieren, um eure eigene Zukunft zu gestalten und euer persönliches Konzept für eine globale Veränderung zu entwickeln.
Horst Hörtner ist Gründungsmitglied und Managing Director des 1996 ins Leben gerufenen Ars Electronica Futurelab und seit 2020 CTO der Ars Electronica. In den 1980er Jahren begann er als Medienkünstler zu arbeiten und war 1990 Mitbegründer der Medienkunstgruppe x-space in Graz/Österreich. Als Medienkünstler, Forscher und Experte für die Gestaltung von Mensch-Computer-Interaktion hält er mehrere Patente in diesem Bereich. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft und hält Vorträge auf zahlreichen internationalen Konferenzen und an Universitäten. Seit 2013 hat Horst Hörtner auch eine Professur an der University of Newcastle/Australien inne.