Vermächtnis der Vergangenheit und Visionen für die Zukunft

, Golden Nicas & STARTS Trophy, Credit: vog.photo

Der Prix Ars Electronica ist zu Jahresbeginn in seine 37. Runde gestartet. Seit 1987 wird der traditionsreichste Medienkunstwettbewerb der Welt jährlich ausgeschrieben. Mit den prämierten Arbeiten internationaler Künstler*innen erhebt der Preis den Anspruch, Trendbarometer zu sein und einen inspirierenden, aktuellen und zukunftsweisenden Einblick in die Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft zu bieten. Den Preisträger*innen winken wie immer die begehrten Goldenen Nicas, bis zu 10.000 Euro Preisgeld pro Kategorie und der Auftritt beim renommierten Ars Electronica Festival in Linz.

Der Prix wird aber nicht nur in verschiedenen Kategorien der Medienkunst vergeben, die biennal wechseln. Heuer stehen den Einreichenden zusätzlich so viele Open Calls der Ars Electronica wie nie zuvor offen: Der mit 5.000 Euro ausgeschriebene Isao Tomita Special Prize, der Ars Electronica Award for Digital Humanity gemeinsam mit dem österreichischen Außenministerium, der European Union Prize for Citizen Science, der S+T+ARTS Prize der Europäischen Kommission, und der Klasse! Lernen. Preis in Zusammenarbeit mit OeAD und dem österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung.

Bestimmte Abläufe wurden seit den Anfängen beibehalten, vieles hat sich auch geändert, wurde verbessert und adaptiert und an die Zukunft angepasst. Welche großen Neuerungen es heuer gibt, was den Prix Ars Electronica so einzigartig macht und wieso sich laufend neue Preise dazugesellen, darüber haben wir mit dem künstlerischen Leiter Gerfried Stocker und der Leiterin des Prix Ars Electronica Emiko Ogawa gesprochen.

Für die Medienkunstwelt ist der Jahresbeginn zugleich auch der Beginn zahlreicher Einreichungen und Open Calls. Was ist das Herausragende am Prix Ars Electronica, wie würdet ihr seine Bedeutung in einem Satz beschreiben und warum sollte man als Medienkünstler*in gerade hier einreichen?

Gerfried Stocker: Wenn ich es versuche einzugrenzen, sind es im Wesentlichen zwei Dinge: Das erste ist, wenn du in diesem Feld tätig bist, ist das hier dein Platz, es ist dein Preis, denn diese Ausschreibung ist exakt für dich gemacht. Wenn du eine*r diese*r superinteressanten Künstler*innen, Kreativen, Innovator*innen bist, die am Puls der Zeit arbeiten, wenn du an der Erforschung der Auswirkungen neuer Technologien und wissenschaftlicher Entwicklungen auf unsere Kultur und Gesellschaft arbeitest, dann bewirb dich, denn das ist dein Preis. Dieser Preis wird seit 35 Jahren vergeben, um genau diese Menschen und ihre Arbeit anzuerkennen, zu würdigen und zu feiern.

Und das zweite ist, dass du dich damit einschreiben kannst in ein Vermächtnis, in die Reihe zahlreicher Medienkünstler*innen, Pionier*innen vor dir, in eine Reihe großartiger Projekte. Du wirst ein Teil dessen. Das beginnt mit Größen wie John Lasseter und Peter Gabriel und setzt sich fort über Ryuichi Sakamoto bis hin zu Valie Export und Laurie Anderson.

Emiko Ogawa: Für mich ist es fast dasselbe, ich möchte nur hinzufügen, dass es für mich sehr wichtig ist, wenn ich mit Partner*innen spreche, die nicht Teil der Kunstszene sind, dass wir von den Künstler*innen lernen können. Wir können von Künstler*innen lernen, wie sie die Gesellschaft sehen, wie sie Kritik an der Technologie verstehen. Der Prix Ars Electronica ist nicht nur ein anerkanntes sondern auch sehr geschätzes Umfeld wenn es um diese Expertise geht. Und wie Gerfried schon sagte, liegt das vor allem auch an seiner Tradition.

Für mich bedeutet eine Einreichung beim Prix Ars Electronica, dass man Teil dieser Gemeinschaft wird. Man wird Teil eines Archivs von Wissen, von Ansichten über die Welt, über die Zukunft. Wenn wir später darauf zurückblicken, sehen wir, wie bahnbrechende Künstler*innen die Welt wahrgenommen haben. Meiner Meinung nach ist es also eine Art anderes, hochgradig fokussiertes historisches Archiv, mit einem Blick auf die Menschheit, die Gesellschaft und die Technologie. Wir als Künstler*innen können einen Beitrag zur Welt leisten.

Gerfried Stocker: Und übrigens kann man beim Prix Ars Electronica ja auch Geld gewinnen und Teil des Ars Electronica Festivals werden.

Was sind – abgesehen vom Vermächtnis – die größten Stärken des Prix Ars Electronica?

Gerfried Stocker: Einer der größten Vorzüge und, wie ich finde, auch ein ziemlich einzigartiger, ist die große Aufmerksamkeit, die wir dem Auswahlverfahren widmen. Ich kenne keinen anderen Prozess – und ich habe an vielen Jurys teilgenommen -, bei dem ich dreieinhalb Tage lang mit Expert*innen dieses Kalibers zusammensitze und gezwungen bin, eine Entscheidung zu treffen. Ich möchte wirklich den hohen Aufwand betonen, den wir, unser Team, betreiben, die Sorgfalt, die wir dafür aufbringen, denn das garantiert die Qualität der Ergebnisse. Und ich denke auch, dass wir so am besten gewährleisten können, dass wir wirklich im besten Interesse der Künstler*innen agieren.

Das Grundrezept für diesen Prozess ist seit 1987 dasselbe, aber natürlich haben wir einige Verbesserungen vorgenommen, wir haben digitale Tools eingeführt, wir waren sogar gezwungen, in Zeiten der Pandemie, Online-Jurysitzungen abzuhalten. Und wir mussten Anpassungen vornehmen, da die Zahl der Einreichungen zunahm. Wir mussten ein Vorauswahlverfahren einführen, um die Anzahl der Projekte zu begrenzen, die die Jury bei der eigentlichen Jurysitzung bewertet. Aber natürlich haben wir alles transparent gehalten: Die Jurymitglieder können jederzeit in der Datenbank zurückgehen und jedes Projekt bis zu den Anfängen zurückverfolgen – und sogar Projekte zurückbringen, die bereits ausgeschieden sind. In der Praxis kommt das sehr selten vor, weil uns die Jury vertraut, aber wir haben immer einige Personen dabei, die super eifrig und super skeptisch sind, und die dann noch das eine oder andere Projekt noch einmal hervorkramen. Das ist überhaupt kein Problem.

Es gibt auch einige Rituale in diesem Prozess, die jede Gruppe für sich selbst einführt. In einer Kategorie ist es etwa mittlerweile schon fast Tradition, in der letzten Phase des Prozesses Gummibärchen mitzubringen, um über die letzten Projekte abzustimmen, also sie mit Gummibärchen zu bewerten. Warum eigentlich nicht? Alles, was dem Prozess hilft, ist erlaubt.

Lasst uns noch etwas ausführlicher über die Jury sprechen. Eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird, ist: Wie läuft das Auswahlverfahren der Jurymitglieder selbst ab?

Gerfried Stocker: Der Prozess, wie die Juror*innen ausgewählt werden, basiert auf unserem riesigen Netzwerk und der Expertise unserer Teammitglieder und vieler anderer Jurymitglieder aus früheren Jahren, die wir konsultieren. Wir suchen nach Leuten, die sehr erfahren sind, die so viel wie möglich über diese Bereiche wissen, die sich in ihrem Bereich einen Namen gemacht haben. Und wir achten darauf, dass wir mit jeweils fünf Jurymitgliedern die Vielfalt der einzelnen Kategorien repräsentieren. Wir versuchen auch so gut es geht, globale Vielfalt zu reflektieren.

Hier möchte ich auch betonen, dass wir voll und ganz auf die Integrität unserer Expert*innen vertrauen. Das ist eine der Lehren, die wir aus über 35 Jahren gezogen haben. Ich habe schon lange keine Angst mehr vor dem Prozess, denn alle dieser fünf sehr engagierten Expert*innen haben einen guten Ruf zu verlieren. Wenn sie bei einem Preis wie diesem schlechte Entscheidungen treffen, dann fällt das auch auf sie persönlich zurück. In diesem Sinne sind alle daran interessiert, bestmögliche, unbeeinflusste Entscheidungen zu treffen und genau das spiegelt sich in der Qualität der Ergebnisse wider.

Sprechen wir über die Zukunft. Was gibt es dieses Jahr Neues?

Emiko Ogawa: Die Herausforderung in diesem Jahr ist die Umstrukturierung der Animation-Kategorie, die es ja bereits ebensolange gibt wie den Prix selbst. Die Änderung des Kategorienamens ist nur das Ergebnis einer langen Diskussion: New Animation Art. Sie konzentriert sich mehr auf das neue Erscheinungsbild, das Technologie mit sich bringt. Und gleichzeitig steht aber nicht die Leistung der Technologie im Mittelpunkt, sondern was Künstler*innen, damit schaffen können. Wir haben auch einige Einflüsse aus anderen Bereichen in unsere Kategoriebeschreibung einfließen lassen, wie etwa die Bildgebung des James-Webb-Teleskops oder die neuen Bildwelten, die durch Tiktok geschaffen wurden, weil das alles unsere Vorstellung und die Art, wie wir Animationsvideos wahrnehmen, verändert hat.

Wir haben in dieser Kategorie Raum für Projekte geschaffen, die neue Wege des Visuellen erforschen und experimentieren, die unsere Wahrnehmung verändern und einen neuen Standard für die Zukunft setzen können.

„Diese Kategorie konzentriert sich auf Arbeiten, die den visuellen Ausdruck an der Schnittstelle von Animation, Kunst und Technologie erforschen und damit experimentieren.“
Auszug aus der Kategoriebeschreibung „New Animation Art“

Gerfried Stocker: Ich denke, es ist auch wichtig zu erwähnen, warum im Titel weder digital noch Computer vorkommt. Der Grund dafür ist, dass wir über die weit verbreitete Vorstellung von digitalen Bildern und digitaler Animation hinausgehen wollen, die aufgrund des großen Trends einer bestimmten Ästhetik bei Computerspielen, einer bestimmten Ästhetik mit all diesen NFT-Pixelsachen, entstanden ist. Für viele Menschen, die sich nicht wirklich mit der Entwicklung der digitalen Kunst oder der Animationskunst befassen, scheinen dies die wichtigsten Trends momentan zu sein. Das ist es, was sie als digitale Kunst sehen, weil sie noch nie etwas anderes gesehen haben, sich nie wirklich dafür interessiert haben.

Wir glauben, dass es wirklich sehr wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass es jenseits dieses boomenden Mainstreams noch so viele andere interessante Dinge gibt, und wir wollen nicht auf alle Hypes aufspringen. Wir wollen diese ganze Vielfalt, dieses ganze Ökosystem, das sich gerade zu einer neuen visuellen Kultur, zu einem neuen Kommunikationsstil entwickelt, feiern, belohnen, anerkennen. Deshalb haben wir auch erwähnt, dass Dinge wie Tiktok oder die wissenschaftliche Bildgebung mit dem James Webb Teleskop einen Einfluss haben. Das sind nur einige Aspekte, die zeigen, dass dieses ganze Universum die Art und Weise, wie wir Bilder verwenden und wie wir kommunizieren, völlig verändert.

Was ist also der Beitrag von Künstler*innen? Und das ist die Hauptfrage. Wie erforschen und experimentieren Künstler*innen diese neuen Technologien, wie verarbeiten sie Hypes und Trends, und natürlich spielt auch das wachsende Bewusstsein für die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklungen eine Rolle. Künstler*innen erforschen genau diese Auswirkungen auf unser Leben, und das ist es, wonach wir wirklich suchen.

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Gab es ein besonderes Momentum, warum diese Neuausrichtung gerade jetzt erfolgt ist? Oder ist es nur das Ende eines bereits länger andauernden Prozesses?

Gerfried Stocker: Wenn man einen Apfel hat, ist er zu einem bestimmten Zeitpunkt reif, und wenn man zu lange wartet, fällt er vom Baum. Man muss den richtigen Zeitpunkt finden. Für manche Leute ist es vielleicht zu spät, für manche viel zu früh. Wir haben mit vielen Expert*innen diskutiert und beobachten natürlich, was da draußen vor sich geht. Denn was nützt eine neue Kategorie, wenn es nicht genügend Künstler*innen gibt, die bereits in diesem Bereich arbeiten?

Der Preis ist nicht das Instrument, um die Zukunft zu erfinden. Der Preis ist immer ein Instrument, um diejenigen auszuzeichnen und zu feiern, die die Zukunft bereits mitentwickeln. Wir wollen die Visionen von Tausenden Künstler*innen da draußen zeigen. Und ich denke, dieses Jahr war genau der richtige Zeitpunkt dafür.

Die Neuausrichtung der Animation-Kategorie ist aber nicht die einzige Neuerung heuer. Zusätzlich zu dem bereits bestehenden Isao Tomita Special Prize, dem Ars Electronica Award for Digital Humanity gemeinsam mit dem österreichischen Außenministerium, dem S+T+ARTS Prize der Europäischen Kommission und dem Klasse! Lernen. Bildungspreis kam heuer ein neuer großer europäischer Preis hinzu: Der European Prize for Citizen Science. Der Prix Ars Electronica versteht sich als Plattform, die Raum, Sichtbarkeit und Expertise für solche Initiativen bietet. Kannst du das ein wenig näher erklären?

Gerfried Stocker: Wir haben uns rein von dem, was wir für interessant halten, hin zu einer Plattform für all die vielen Aktivitäten da draußen in der Welt, die interessant sind, entwickelt. Und das hat natürlich auch zu einem wachsenden Interesse an der Zusammenarbeit mit Ars Electronica geführt, um sehr interessante Wettbewerbe zu veranstalten, wie den STARTS Prize seit sieben Jahren, wie den Digital Humanity Award, wie den neuen Citizen Science Preis. Ich halte das für sehr interessant, denn Citizen Science vereint die Kernidee der Ars Electronica – Kunst, Technologie, Gesellschaft – und denkt sie aus Sicht der Gesellschaft selbst. Es passt also perfekt zur Kerndefinition von Ars Electronica und zeigt die Relevanz und die Bedeutung der Plattform.

Das sind Dinge, die wirklich sorgfältig ausgewählt wurden und wirklich in unsere allgemeine Vision passen, die uns aber auch dabei helfen, sie zu erweitern. Es geht nicht nur um unsere neuen Kategorien und darum, hier und da ein wenig zu optimieren. Es geht darum, diese Plattform als Gesamtes weiterzuentwickeln.

Wenn diese Preise von jemand anderem veranstaltet würden, würde das Ganze natürlich in eine andere Richtung gehen, es würde einen anderen Dreh bekommen oder eine andere Farbe oder einen anderen Geschmack oder wie auch immer man es nennen möchte. Indem wir sie in dieser Atmosphäre hier bei Ars Electronica veranstalten, in diesem Ökosystem, tragen sie auch zu der Vision bei, an der Ars Electronica seit 1979 arbeitet.

Für den Prix Ars Electronica kann noch bis zum 3. März eingereicht werden. Eine Übersicht über alle laufenden Open Calls der Ars Electronica findet ihr hier sowie laufend auch auf unseren Social Media Kanälen.

Emiko Ogawa ist sowohl Künstlerin als auch Kuratorin. Sie arbeitet im Rahmen der Ars Electronica beim Prix Ars Electronica, dem weltweit traditionsreichsten Medienkunst Wettbewerb. Sie arbeitete im Kontext der Neueröffnung des Ars Electronica Centers 2009 mit ihren Zeichnungen für das Auszeichnungs- und Wegweisersystem, und hat seitdem bei der Planung von Ausstellungen für das Ars Electronica Center, dem Ars Electronica Festival und von Ars Electronica Export mitgewirkt. Emiko kreiert als Creative Catalyst Installationen und Workshops und lädt dabei ihr Publikum zur Mitwirkung ein. Als Künstlerin obliegt ihr die kreative Leitung, die grafische Gestaltung und das Interaktionsdesign der Media Artist Gruppe h.o(hdoto). Mit der Absicht das `Unsichtbare begreifbar zu machen´, betreibt die Gruppe Projekte, die die Kommunikation fördern und Offenbarungen über die Gesellschaft machen.

Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Leiter und Geschäftsführer von Ars Electronica. Mit einem kleinen Team von Künstler*innen und Techniker*innen entwickelte er 1995/96 die Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung, dem Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung erfolgte ab 2004 der Aufbau des Programms für internationale Ars Electronica Ausstellungen, ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das 2009 baulich erweiterte Ars Electronica Center, ab 2015 die Expansion des Ars Electronica Festival und im Jahr 2019 die großangelegte thematische und innenarchitektonische Neugestaltung des Ars Electronica Center. Stocker berät zahlreiche Unternehmen und Institutionen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement, ist Gastredner auf internationalen Konferenzen und Universitäten. 2019 erhielt er ein Ehrendoktorat der Aalto University, Finnland.

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