Immersive Reisen durch die Zeit 

The Mona Lisa / Grand Palais Immersif, Musée du Louvre, Photo: Ars Electronica / Birgit Cakir

Ars Electronica, das ist die Zukunft, kulturelles Erbe die Vergangenheit. Beide erzählen von disruptiven Wechselbeziehungen im Schnittfeld von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Im Deep Space 8K gehen sie eine einmalige Symbiose ein. 

Kunst- und Kulturschätze sind einzigartig und unvergänglich. Ob Gemälde, Skulpturen, Theaterstücke, Literatur, Filme, Installationen oder Architektur – es sind Kreativität, Virtuosität und Weitblick ihrer Urheber*innen, die darin zum Ausdruck kommen und uns Jahrhunderte, ja Jahrtausende später immer noch staunen machen. Es ist aber auch, was diese Werke symbolisieren. Ähnlich wie Gesteinsschichten vom Klima, der Fauna und Flora längst vergangener Erdzeitalter künden, zeichnet kulturelles Erbe den unwahrscheinlichen Verlauf der Entwicklung unserer Zivilisation nach. Es erzählt von Welt- und Menschenbildern, Machtverhältnissen und Konflikten, von Sieger*innen und Verlierer*innen, revolutionären Technologien und Geschäftsmodellen, von uralten Sehnsüchten, großen Träumen und sehr alltäglichen Sorgen. 

„Kunst- und Kulturschätze spiegeln aber nicht nur die politischen, religiösen, technologischen oder künstlerischen Facetten ihrer Zeit wider. Sie offenbaren auch den Wertekanon jener Gesellschaft, die sie als solche deklariert und wertschätzt“, sagt Michaela Wimplinger. „Was als ‚kulturelles Erbe‘ gilt, wo, wie und von wem es bewahrt werden soll und welche Geschichten es erzählt, wird immer wieder anders beantwortet. Das hat weniger mit einer sich verändernden Bewertung künstlerischer Qualität zu tun, sondern vielmehr damit, wofür ein Werk steht: Kunst, die eine Zeit, Ideologie oder Gesellschaft symbolisiert, die wir als positiv ansehen, versehen wir viel eher mit dem Etikett ‚Kulturerbe‘ als solche, die in Epochen oder von Kulturen geschaffen wurde, die wir ablehnen.“ Es ist daher kein Zufall, dass kulturelles Erbe häufig gar der Zerstörung anheimfällt, wenn es gilt eine neue Gesellschaft aufzubauen: „Inmitten von Symbolen einer hinter sich zu lassenden Vergangenheit fällt es schwer, den Neuanfang zu schaffen.“ 

Kunst, Technologie, Gesellschaft 

Michaela Wimplinger pflegt Kontakte zu Museen, Kunst- und Kultureinrichtungen, Sammlungen, Galerien, Start-Ups, Stiftungen und Botschaften in aller Welt. Seit 2017 ist sie für Sonderprojekte und Kooperationen bei der Ars Electronica zuständig und gestaltet Konferenzen, Ausstellungsbeiträge und Präsentationen im „Deep Space 8K“. Gemeinsam mit Kolleg*innen aus allen Bereichen des Unternehmens arbeitet sie vor allem daran, digitalisierte Kunst- und Kulturschätze ins Ars Electronica Center nach Linz zu holen. Als einmalige immersive Erlebnisse werden sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Wir machen kulturelles Erbe zu einem unserer Erzählstränge darüber wie Kunst, Technologie und Gesellschaft einander wechselseitig beeinflussen. Kunst- und Kulturschätze werden dabei zu Linsen, durch die wir unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrachten und reflektieren können.“ 

Portal in andere Welten 

Wo und wie dies geschieht, ist Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklungen. „2009 war Linz Kulturhauptstadt Europas und das Ars Electronica Center wurde auf 8500 Quadratmeter erweitert. Teil der Architekturausschreibung war ein Raum, der ausschließlich für riesige hochaufgelöste Projektionen genutzt werden sollte. Die technische Entwicklung dieses ‚Deep Space‘ übernahm das Ars Electronica Futurelab. Am 1. Jänner 2009 wurde das neue Ars Electronica Center eröffnet und der „Deep Space“ mit seinen 16 mal 9 Meter großen 4K-Wand- und Bodenprojektionen in Betrieb genommen. „Die Besucher*innen waren perplex.” 

Am beliebtesten war damals eine 3D-Visualisierung des gesamten bekannten Universums. „‘uniview‘ war ein Augenöffner“, erzählt Michaela Wimplinger. „War man eben noch mit den üblichen Alltagsproblemchen beschäftigt, verlor man sich im nächsten Moment in diesem wunderschönen Weltall mit seinen Myriaden von funkelnden Planeten, Sternen und Galaxien. Man fühlte sich so winzig und unbedeutend, aber auch so privilegiert, auf diesem einen Planeten mitten in diesem riesigen Etwas existieren zu dürfen.“ Zum ersten Mal hatte der „Deep Space“ sein immersives Potential entfaltet und es stellte sich die Frage, ob kulturelles Erbe hier nicht auch zum einmaligen Erlebnis werden könnte. 

Ob Alter, Größe oder Ausformung – das Universum übersteigt unsere Vorstellungskraft und beflügelt unsere Fantasie gleichermaßen. „uniview” vermittelt eine Ahnung davon, wie einzigartig unser Leben auf dem “Pale Blue Dot” ist. Deep Space 8K / Uniview, Photo: Christopher Sonnleitner

Von Katalogen zu immersiven Räumen 

Die Digitalisierung von Kunst- und Kulturschätzen war damals nichts Neues. Schon in den 1960ern hatte es erste Bestrebungen gegeben, Museumsbestände und Bibliothekssammlungen zu katalogisieren und digitalisieren. Mit der Verbreitung des Internets und dem technologischen Fortschritt in Sachen Scannen und digitaler Bildverarbeitung erhielten diese Bemühungen zunehmend Auftrieb. 1996 startete das „Internet Archive“, ein erstes digitales Archiv für Bücher, Websites und andere Kulturgüter, 2002 wurde das „Open Archival Information System Reference Model“ als ISO-Standard zertifiziert. 2004 initiierte Google sein „Books Library Project“ zur Digitalisierung von Millionen Büchern und 2008 startete mit „Europeana“ die digitale Bibliothek der Europäischen Union. „Nachdem die Standford University bereits 1999 sehr genaue dreidimensionale Modelle von Michelangelos Skulpturen erstellt hatte, wurde es in diesen 2000er Jahren aber vor allem auch wegen der Fortschritte in Sachen 3D-Scanning, Fotogrammmetrie und Virtual Reality richtig spannend“, erinnert sich Michaela Wimplinger. „Es entstanden immer mehr dreidimensionale digitale Modelle, die legendäre Artefakte und Stätten der Menschheitsgeschichte zu immersiven Erlebnissen machten. In Gestalt des ‚Deep Space‘ hatte Ars Electronica dann eine völlig neue Infrastruktur für genau solche Projekte anzubieten.“

Kulturelles Erbe erstmals im “Deep Space” 

Recht schnell avancierte der „Deep Space“ zum Publikumsmagneten als auch zur begehrten Bühne für Künstler*innen aus aller Welt. Gigapixelbilder, Datenvisualisierungen, interaktive Spiele, Konzerte und Performances loteten das Potenzial des immersiven Prototypen immer wieder aufs Neue aus. Auch kulturelles Erbe fand sich dabei im Programm. Den Auftakt bildete 2011 eine von CyArk kreierte Punktwolke der antiken Maya-Stadt Tikal im heutigen Guatemala. 2013 präsentierte der österreichische Maler Hermann Nietsch eine Auswahl seiner berühmten Schüttbilder, 2014 wurden Gigapixelbilder von Kunst- und Kulturschätzen wie Cellinis „Saliera“ (Kunsthistorisches Museum Wien), der 1943 zerstörten „Ebstorfer Weltkarte“, Ingres‘ „La Grande Odalisque“ (Louvre) und Cranachs „Venus in einer Landschaft“ (Louvre) gezeigt. 

Der Maler und Aktionskünstler Hermann Nitsch (*29. August 1938 in Wien, †18. April 2022]) zählte zu den bedeutendsten Vertreter*innen des Wiener Aktionismus. 2013 präsentierte er seine berühmten Schüttbilder im “Deep Space” des Ars Electronica Center. Photo: tom mesic

8K

2015 wurde aus dem „Deep Space“ der „Deep Space 8K“. „Das Team des Ars Electronica Futurelab verpasste dem Raum ein technisches Upgrade, das es in sich hatte. Statt der 4K-Auflösung projizierten nun acht brandneue Christie-Projektoren Bilder in 8K-Auflösung und das mit einer Frequenz von 120 Bildern pro Sekunde. Zudem stieg die Helligkeit der Bilder von 12.000 auf 30.000 ANSI Lumen“, erzählt Michaela Wimplinger. „Um das immersive Potential des ‚Deep Space 8K‘ promoten zu können, brauchten wir aber auch neue Inhalte.“

Besser als Fernsehen – ein Spaziergang im antiken Rom 

Der Zufall wollte es, dass die BBC eine 60-Minuten-Doku über das antike Rom produzierte und das Team von ScanLAB beauftragt hatte, die alten Stadtstrukturen im Untergrund des heutigen Roms mithilfe von Laserscans sichtbar zu machen. Die Daten für den ‚Deep Space 8K‘ aufzubereiten, stieß auf großes Interesse und das Ars Electronica Futurelab legte los. Als man dann im Deep Space durch das antike Rom spazieren konnte, waren nicht nur die Besucher*innen baff – die Leute von der BBC waren schwer beeindruckt“, schmunzelt Michaela Wimplinger.  

Hochaufgelöste Scans machen Meißelspuren an Steinbruchwänden, farbenfrohe Fresken in Grabkammern und filigrane Friese in Tempeln sichtbar, die allesamt 2000 Jahre alt sind. Photo: Florian Voggeneder

Mehr kulturelles Erbe 

Im Jahr darauf konnten Besucher*innen des Deep Space eine virtuelle Rekonstruktion der Linzer Synagoge erleben. „Wie so viele jüdische Gotteshäuser wurde auch die Linzer Synagoge in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Nazis in Brand gesteckt und zerstört. Im Rahmen einer Diplomarbeit an der TU Wien entstand dann diese virtuelle Rekonstruktion, die das Team des Ars Electronica Futurelab für den ‚Deep Space‘ adaptierte.“ 

Ebenfalls 2016 wurden Gigapixelbilder der berühmten Venus von Willendorf, einer 29.500 Jahre alten Venusfigurine aus dem Gravettien, im „Deep Space“ präsentiert. Die nur 11 cm große Figur zählt zu den bedeutendsten Beispielen der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheit. 

„Ich fand das alles ungemein inspirierend und wollte dazu beitragen, dass mehr Menschen Zugang zu Kunst- und Kulturschätzen erhalten. Ich wollte kulturelles Erbe zum Schwerpunkt meiner Arbeit machen“, erzählt Michaela Wimplinger. Anfang 2017 suchte sie das Gespräch mit der Geschäftsführung von Ars Electronica und überzeugte. „Ich hab’ mich riesig gefreut“, erinnert sie sich. „Wir hatten ja auch ein wirklich tolles Paket am Start: Das Ars Electronica Futurelab entwickelte den Deep Space laufend weiter und würde Datensätze aufbereiten, das Ars Electronica Center seine jahrzehntelange Storytelling-Erfahrung einbringen. Dazu kamen das Ars Electronica Festival, das jährlich Expert*innen aus aller Welt nach Linz holte, und der Prix Ars Electronica, über den wir Künstler*innen erreichten, die im Deep Space völlig neue Inszenierungsmöglichkeiten vorfanden. Wir brauchten also ‚nur‘ noch Partner*innen mit hochkarätigen Inhalten und kunsthistorischer Expertise und Sponsoren für die Finanzierung.“ 

„Sharing Heritage“ – Pieter Bruegel im Deep Space 8K 

2018 war das Europäische Jahr des Kulturerbes. „Die EU-Kommission rief das Motto ‚Sharing Heritage‘ aus, was für uns der perfekte Aufhänger war“, erzählt Michaela Wimplinger. In Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum Wien und der Generaldelegation von Flandern der Belgischen Botschaft gelang es ihr, Gigapixelbilder von Gemälden von Pieter Bruegel dem Älteren nach Linz bringen. „Präsentiert wurden die Bilder von Geert Van der Snickt von der Universität Antwerpen, Frederik Temmermans von der Freien Universität Brüssel und Manfred Sellink, Generaldirektor des Museums für Schöne Künste in Antwerpen“, erinnert sich Michaela Wimplinger. „Es war ein echtes Erlebnis, die Werke von Pieter Bruegel im ‚Deep Space 8K‘ zu erleben und Expert*innen von seinem Leben erzählen zu hören. Das großartige Feedback, das wir damals bekommen haben, hat mich wahnsinnig gefreut – und angespornt.“  

In Cheops Pyramide 

2019 konnten Besucher*innen des Ars Electronica Center dann Gigapixelbilder der „Tabula Peutingeriana“ (Österreichischen Nationalbibliothek) sowie des Gemäldes „Trude Engel“ von Egon Schiele (Lentos Kunstmuseum) im Deep Space sehen. Darüber hinaus kam es zu einer weiteren Zusammenarbeit mit der BBC und ScanLab. „Für eine Doku über die Cheops Pyramide war ein hochaufgelöstes dreidimensionales Modell des antiken Weltwunders entstanden, das im Rahmen des EU-geförderten Forschungsprojekts ‚Immersify‘ vom Ars Electronica Futurelab für den Deep Space bearbeitet wurde. Man konnte sich durch die virtuelle Pyramide bewegen und das Blickfeld dabei frei steuern. Die Besucher*innen waren begeistert und wir motiviert, die nächste Projekte anzugehen.“ 

Schon im alten Rom ging das Sprichwort “Alles fürchtet die Zeit, aber die Zeit fürchtet die Pyramiden”. Die Cheops-Pyramide wurde im 26. Jahrhundert v. Chr. errichtet und ist das einzige Weltwunder der Antike, das heute noch intakt ist. Im “Deep Space 8K” kann sie virtuell erkundet werden. The Great Pyramid in 3D, From the BBC Series Ancient Invisible Cities / BBC Studios (UK), ScanLab Projects (UK), Photo: Ars Electronica – Robert Bauernhansl

Pandemie 

2020 stand dann alles Kopf. „Am 30. Januar rief die Weltgesundheitsorganisation wegen der rasanten Ausbreitung des Coronavirus eine internationale Gesundheitsnotlage aus und ehe wir uns versahen, befanden wir uns mitten in der Pandemie“, erinnert sich Michaela Wimplinger. „Lockdowns, Quarantäne, Homeoffice, Kurzarbeit, Zoom-Calls – die Arbeitsbedingungen waren extrem schwierig, alle unsere Projekte mit einem Mal ungewiss.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Kunst- und Kulturinstitutionen, die ihre Events absagten, entschied Ars Electronica sowohl den Ausstellungsbetrieb als auch das Festival weiter- bzw. durchzuführen nur eben anders. „Innerhalb kürzester Zeit haben wir Ausstellungsführungen, Workshops, Konzerte und auch Deep Space-Präsentationen online oder hybrid durchgeführt. Für mich war damit klar, dass auch unsere Aktivitäten zum kulturellen Erbe nicht pausieren würden.“ 

Raffael und Jan van Eyck 

Es war ausgerechnet dieses pandemiegeplagte 2020, in dem sich der 500. Todestag des genialen Raffael jährte. „Das auf Digital Heritage spezialisierte italienische Unternehmen ‚Magister Art‘ hatte deshalb ein neues Projekt mit dem Titel ‚Magister Raffaello‘ entwickelt, bei dem die ‚Grablegung Christi‘ aus der Galleria Borghese sowie die ‚Madonna mit dem Stieglitz‘ und das ‚Selbstportrait‘ aus den Uffizien zunächst als Gigapixelbilder digitalisiert wurden und aus diesen dann ein Video gestaltet wurde“, erzählt Michaela Wimplinger. Unterstützt wurde ‚Magister Raffaello‘ vom Italienischen Kulturinstitut in Wien

Das zweite Highlight in dem Jahr war ein Projekt mit dem Museum Brügge, der Generaldelegation Flanderns und dem Belgischen Königlichen Institut für Kulturerbe und Kunst in Flandern. „Im April war der von Jan van Eyck gestaltete Altar der Sint Baafs Kathedrale in Gent nach langer Restaurierung wieder eröffnet und in ganz Flandern 2020 zum Festjahr rund um den flämischen Ausnahmekünstler erklärt worden“, erzählt Michaela Wimplinger. „Es gelang uns, hochaufgelöste Bilder dieses weltberühmten Altars zu bekommen und im ‚Deep Space 8K‘ zu zeigen. Für die Präsentation war Till-Holger Borchert, der Direktor des Museums in Brügge, zugeschalten und hat nicht nur die Bilder, sondern auch das kreative Umfeld und die Techniken van Eycks erläutert.“ 

Guernica 

„Ohne dass wir es ahnen konnten, war es tragischerweise eine sehr passende Entscheidung, im September 2021 Picassos ‚Guernica‘ zu zeigen“, sagt Michaela Wimplinger. Nur wenige Monate später, im Februar 2022, sollte der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eskalieren und die russische Invasion beginnen. „Uns beschäftigte zu dem Zeitpunkt viel mehr die Spaltung unserer Gesellschaft in Impfbefürworter*innen und -gegner*innen, weshalb wir ein Werk zeigen wollten, das die Demokratie hochhielt. Mit Mabel Tapia war damals die stellvertretende Direktorin des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía Madrid, mit Olga Sevillano die Leiterin für Digitale Projekte des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía Madrid zu Gast in Linz. Gemeinsam haben sie Picassos ‚Guernica‘ präsentiert.“ Unterstützt wurde das Projekt von der Spanischen Botschaft in Wien. 

Michaela Wimplinger und ihre Kolleg*innen beim ersten Test des Gigapixelbildes von Pablo Picassos “Guernica”. Gigapixel 3D Scan of Picasso’s “Guernica” / Reina Sofia, Spanish Embassy, Photo: Ars Electronica – Robert Bauernhansl

Deep Space Evolution 

Im März 2022 stand zunächst der „Deep Space 8K“ selbst im Mittelpunkt. „Das Team des Ars Electronica Futurelab hatte monatelang gearbeitet und die technische Leistungsfähigkeit des prototypischen Projektionsraums auf ein neues Level gehoben“, erzählt Michaela Wimplinger. Der Projektionsraum war jetzt mit vier Laserprojektoren ausgestattet, die einen viel größeren Farbraum darstellen konnten, aber rund 30 Prozent weniger Strom verbrauchten. Weil sie nicht so heiß wurden, mussten sie viel weniger stark gekühlt werden und waren deshalb wesentlich leiser. Komplett erneuert wurden zudem alle sieben Workstations, auf denen der „Deep Space 8K“ lief, und die Rechenleistung um rund 200 Prozent erhöht. Eine deutliche Performancesteigerung wurde auch bei den Grafikkarten erzielt – statt vier brauchte es nun nur noch zwei pro Rechner, was deren Stromverbrauch wiederum um 40 Prozent reduzierte. „Unter dem Motto ‚Deep Space Evolution‘ haben wir dann Ende März zum Medientermin und zur Eröffnung geladen und uns über jede Menge glänzende Augen und offene Münder gefreut.“ 

Die Evolution des “Deep Space 8K” lässt nicht nur Blue Marbel heller leuchten als je zuvor. Deep Space EVOLUTION: Univew 3.0, Photo: Philipp Greindl

Frauen damals und heute 

Kurz darauf stand dann mit „Merlic trifft Klimt“ ein spannendes künstlerisches Aufeinandertreffen auf dem Programm. „Unser Thema war das sich wandelnde Frauenbild“, erzählt Michaela Wimplinger. „Mit Franz Smola hatten wir einen renommierten Klimt-Spezialisten zu Gast, der am Beispiel hochaufgelöster Klimt-Bilder zeigte, wie Frauen im 19. Jahrhundert idealtypisch gedacht wurden. Kontrastiert haben wir das mit Rebecca Merlic, einer jungen Künstlerin aus Wien, und ihrem Projekt GLITCHBODIES, das im Jahr darauf beim Prix Ars Electronica eine Honorary Mention für New Animation Art erhielt. Es handelte sich um ein interaktives Spiel, das neue Formen des Feminismus, LGBTQ+ und Drag verband.“ 

Die Vatikanischen Museen, der Louvre, ein Gastspiel 

Im November 2022 feierte die “World Heritage Convention” der Unesco ihr 50-Jahre-Jubiläum. „Rund um die Welt gab es Konferenzen und Ausstellungen, die das Welterbe als eine Quelle der Resilienz, Menschlichkeit und Innovation zelebrierten.“ Wenige Wochen davor, im September 2022, fand sich die internationale Medienkunstszene beim Ars Electronica Festival in Linz ein.  

„Wir haben richtig hingefiebert auf dieses Festival“, erinnert sich Michaela Wimplinger. „Dank der Unterstützung durch die Botschaft des Heiligen Stuhls in Rom konnten wir gemeinsam mit den Vatikanischen Museen Gigapixel-Bilder von zwei Kunstwerken von Pietro Perugino aus der Sixtinischen Kapelle im ‚Deep Space 8K‘ zeigen. Erläutert wurden die Werke von Direktorin Barbara Jatta höchstpersönlich und Rosanna Di Pinto, der Leiterin der Abteilung für Bilder und Rechte der Vatikanischen Museen.“  

Auch das zweite Projekt war in jeder Hinsicht hochkarätig: eine interaktive immersive Präsentation von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“. „Vincent Delieuvin, Chefkurator für italienische Malerei des 16. Jahrhunderts im Louvre, Roei Amit, General Manager von Grand Palais Immersif, und Christelle Terrier, Head of Production Mona Lisa Immersive, kamen nach Linz und gestalteten eine sensationelle Session im Deep Space“, erzählt Michaela Wimplinger. „Überhaupt war die Zusammenarbeit mit dem Grand Palais Immersif Paris und dem Musée du Louvre fantastisch und auch das Institut Francais d´Autriche und die Französischen Botschaft unterstützen das Projekt mit großem Engagement.“ 

Venezianische Vergänglichkeit, Goyas Wahrheit, Leonardos Letztes Abendmahl 

2023 strahlte das kulturelle Erbe im „Deep Space 8K“ erneut sehr hell. „Ob die Palazzi und Kanäle der Lagunenstadt, der Markusplatz oder die Wände und Decken des Dogenpalastes – ‘Venice Revealed‘ machte alle staunen“, gerät Michaela Wimplinger immer noch ins Schwärmen. „Das riesige dreidimensionale Modell Venedigs entstand durch die Zusammenarbeit von Grand Palais Immersif, Iconem und Fondazione Musei Civici di Venezia. Dank des Institut Francais d´Autriche sowie der Französischen und der Italienischen Botschaften in Wien konnten wir ‚Venice Revealed‘ nach Linz bringen.“ Doch das war nicht alles.  

1987 wurden Venedig und seine Lagune als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Der Massentourismus als auch der durch den Klimawandel stetig steigende Meeresspiegel setzen der Stadt aber immer stärker zu. Im “Deep Space 8k” kann die Stadt auf noch nie dagewesene Weise erkundet werden. Venice Revealed / Grand Palais Immersif (IT), Iconem (IT), Photo: Ars Electronica – Magdalena Sick-Leitner

„Unterstützt von der Spanischen Botschaft in Wien, präsentierten wir gemeinsam mit dem Museo Nacional del Prado Gigapixelbilder von Francisco de Goya“, erzählt Michaela Wimplinger. „In einer superspannenden Session erläuterten Alejandro Vergara, Kurator am Prado, und Javier Pantoja Ferrari, CDIO am Prado, Goyas Werk und Denken und stellten dabei immer wieder Bezüge zum Thema des Ars Electronica Festivals her, das sich der Frage ‚Who Owns the Truth‘ verschrieben hatte.“ 

Weiters wurde mit dem Reina Sofia Madrid erneut ein ebenso spannender Beitrag mit Hilfe der Gigapixel-Technologie gezeigt. Zwei wichtige Werke (Pablo Picassos Frau in Blau und Eine Welt von der Künstlerin Ángeles Santos) aus der Sammlung des Museo Reina Sofía wurde von Olga Sevillano Pintado und Raul Martinez analysiert. Möglich wurde dies einmal mehr durch die großartige Unterstützung der Spanischen Botschaft. 

Das vierte Programm des Jahres 2023 war „Last Supper“ von Franz Fischnaller und Haltadefinizione. Das Besondere daran war, dass man in dieses ultra-hochaufgelöste Gigapixelbild von Leonardo da Vincis ‚Letztes Abendmahl‘ nicht nur hineinzoomen und kleinste Details entdecken, sondern sogar die zweidimensionale Eben des Freskos durchdringen und sich virtuell im Gemälde bewegen konnte. “Man konnte rund um die Tafel gehen, an der Jesus und die Apostel ihr letztes gemeinsames Mahl einnahmen.“ 

Zwischen 1494 bis 1497 für den Mailänder Herzog Ludovico Sforza geschaffen, gilt “Das Letzte Abendmahl” Kunsthistoriker*innen als der Höhepunkt in Leonardos malerischem Schaffen. 422 mal 904 Zentimeter groß, schmückt das Bild die Nordwand des Refektoriums im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand. Im “Deep Space 8K” wird das Bild zur dreidimensionalen Szene und begehbar. Photo: Ars Electronica – Magdalena Sick-Leitner

Kulturelles Erbe, Ars Electronica, 2024 

So viel zur langen, kurzen Geschichte darüber, wie kulturelles Erbe Einzug in den „Deep Space 8K“ hielt und über die Jahre zum fixen Bestandteil der Ars Electronica-Erzählung rund um Kunst, Technologie und Gesellschaft wurde. Was und mit wem aber wird für das Ars Electronica Festival 2024 geplant? 

Notre Dame öffnet die Tore 

„Vorweg, ich kann es wieder einmal kaum erwarten, dass endlich September ist und wir im Rahmen des Festivals wieder in den ‚Deep Space 8K‘ bitten dürfen“, sagt Michaela Wimplinger. „Gemeinsam mit Iconem Paris und Histovery, dem Institut Francais d´Autriche, dem Institut Francais d´Paris und der Französischen Botschaft werden wir ein ultrahochaufgelöstes 3D-Modell von Notre Dame präsentieren.“ Jeder Winkel, der im April 2019 in Brand geratenen, weltberühmte Kathedrale wurde für die Erstellung dieses Modells gescannt, fotografiert und gefilmt. Zentrale Bedeutung hatten dabei die Scans des 2018 verstorbenen Kunsthistorikers Andrew Tallon. „Das Pariser Start-Up Iconem hat aus dieser Unmenge an Daten dann ein sensationelles 3D-Modell entwickelt, das jetzt vom Ars Electronica Futurelab für den ‚Deep Space 8K‘ aufbereitet wird“, erzählt Michaela Wimplinger. „Nicht zuletzt, weil Notre-Dame in Paris ja am 8. Dezember dieses Jahres mit großem Pomp wiedereröffnet wird, passt es einfach perfekt, dass wir vorab im September einen virtuellen Rundgang durch die Kathedrale anbieten können und dabei auch noch international renommierte Expert*innen als Guides zu Gast haben.“ 

Zwischen 1163 und 1345 auf der Ostspitze der Seine-Insel Île de la Cité errichtet, zählt Notre Dame (deutsch „Unsere Liebe Frau von Paris“) zu den frühesten gotischen Kirchen Frankreichs. Am Abend des 15. April 2019 brach im Dachstuhl der Kathedrale ein Brand aus und verursachte verheerende Schäden. Nach aufwändigen Wiederaufbauarbeiten wird Notre Dame am 8. Dezember 2024 wiedereröffnet. Ab September kann ein riesiges 3D-Modell des weltberühmten Kirchenbaus im „Deep Space 8k“ erkundet werden. Notre Dame 3D data from Andrew Tallonin collaboration with Iconem Paris

Vittore Carpaccios junger Ritter posiert in pittoresker Landschaft 

Ein zweites Projekt wird mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza Madrid und der Unterstützung der Spanischen Botschaft in Wien umgesetzt. „Wir werden Gigapixelbilder von Vittore Carpaccios ‚Young Knight in a Landscape‘ zeigen – eines der frühesten Ganzkörperportraits der europäischen Malerei überhaupt, das lange Zeit Alfred Dürer zugeschrieben und nun aufwändig restauriert wurde“, sagt Michaela Wimplinger.

Kulturelles Erbe, Ars Electronica, die Zukunft 

Kunst- und Kulturschätze werden über 2024 hinaus ein zentrales Thema der Ars Electronica-Erzählung zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft bilden. „Ich möchte und kann noch nichts verraten, aber wir führen eine ganze Reihe von Gesprächen mit renommierten Institutionen“, sagt Michaela Wimplinger. „Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage, wie wir mit immersiven Technologien und einem anderen Storytelling neue und sinnstiftende Perspektiven auf Kunst- und Kulturschätze eröffnen können. Wenn wir gemeinsam zufriedenstellende Antworten auf diese Frage erarbeiten können, nehmen wir ein Projekt gemeinsam in Angriff – wenn nicht, dann nicht. Ein Bild bloß ab- und wieder aufzuhängen, lohnt den Aufwand nicht und wird auch das Publikum nicht begeistern.“  

Was sie immer wieder motiviert, solch aufwändige Projekte voranzutreiben? „Zum einen natürlich die Faszination, die von diesen Kunstwerken ausgeht. Man muss sich nur mal überlegen, was es bedeutet, zum Beispiel eine Geschichte zu schreiben, die 2000 oder 3000 Jahre später Menschen immer noch in ihren Bann zieht. Das ist unglaublich“, gerät Michaela Wimplinger unweigerlich ins Schwärmen. „Zum anderen inspiriert mich der Austausch mit den Menschen, die in all diesen Museen oder Start-Ups tätig sind. Ihre Begeisterung für die Kunst ist grenzenlos und ihr Wissen wirklich beeindruckend. Ich lerne sehr viel in den Gesprächen mit diesen Persönlichkeiten.“ 

Was sie besonders anstrengend findet? „Die rechtlichen Hürden zu überwinden“, sagt Michaela Wimplinger sofort und lacht. „Im Ernst – es ist wirklich nicht leicht, Gigapixelbilder von Werken wie der ‚Mona Lisa‘ zeigen zu dürfen bzw. Fotos oder Clips davon im Rahmen der Promo vorab online zu stellen. Es geht da um Eigentümer*innenrechte, Urheber*innenrechte und Nutzungsrechte, die im Fall von jahrhundertealten und weltberühmten Kunstwerken ziemlich kompliziert sein können.“ 

Warum sie bei Ars Electronica und in keiner Kunstgalerie oder Kunstmuseum arbeitet? „Weil ich mich in der urbanen, internationalen und diversen Welt der Medienkunst ausgesprochen wohl fühle. Themen wie Demokratie, Gender und Nachhaltigkeit haben hier zentralen Stellenwert und sind auch mir ungemein wichtig“, so Michaela Wimplinger. „In der Zusammenarbeit mit so traditionsreichen und komplexen Institutionen wie den Vatikanischen Museen finde ich es deshalb immer wieder spannend, wie und wo wir zueinander finden – hier die Ars Electronica, deren Welt, bedingt durch die rasante Technologieentwicklung, sehr schnelllebig und unübersichtlich ist und in der alle Blicke auf die Zukunft gerichtet sind und dort die Welt der Kunstgeschichte, in der sich alles um das Bewahren und Erforschen von zeitlosen Artefakten dreht und Geduld und Beharrlichkeit eine wichtige Rolle spielen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es in diesen Kooperationen für Ars Electronica um die Verbindung zur Vergangenheit und für die Welt der Kunstgeschichte um die Brücke in die Zukunft geht.“

Medienkünstler Karl Sims (US) gründete 1996 GenArts und entwickelte Spezialeffekt-Plugins, die für Filme wie “The Matrix”, „Star Wars” oder “Der Herr der Ringe” genutzt wurden. Im “Deep Space 8K” treffen seine immersiven Bildwelten auf künstlerisch-technologische Experimente vergangener Jahrhunderte wie der “Turmbau zu Babel” von Pieter Bruegel dem Älteren, der wiederum die Gestaltung von Minas Tirith in „Herr der Ringe” inspirierte. 

Stichwort Zukunft. Was wünscht sie sich für die kommenden Jahre? Michaela Wimplinger überlegt kurz und sagt dann: „Mehr Geld und mehr Innovation.“ Was sie damit meint? „Nun ja, Geld kann man nie genug haben“, lacht sie. „Aber im Ernst. Die finanziellen Mittel für unsere Projekte rund um das kulturelle Erbe stammen aktuell zum überwiegenden Teil vom Dorotheum, das uns seit 2022 großartig unterstützt sowie von den in Wien angesiedelten Botschaften und Kultureinrichtungen. Aber es wäre toll, wenn wir auch Unternehmen als langfristige Sponsoren*innen gewinnen könnten. Dann wäre es uns möglich – und das bringt mich zum zweiten Punkt – noch mehr neue Wege zu erkunden. Ich meine damit nicht mehr Programm, sondern mehr innovative Formen der Vermittlung und des Erzählens – ich würde etwa wahnsinnig gern mit internationalen Expert*innen darüber nachdenken, wie wir ihre Kunst- und Kulturschätze mittels immersiver Technologien und entsprechendem Storytelling speziell für Kinder und Jugendliche aufbereiten könnten. Ich möchte kulturelles Erbe nicht als Sinnbild der Hochkultur zeigen, sondern vermitteln, dass Kunst- und Kulturschätze aus allen Regionen und Kulturen dieser Welt etwas sehr Menschliches sind und davon zeugen, dass wir schon immer sehr verschieden waren aber auch sehr viel gemeinsam haben.“ 

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